»Bleib stehen Wanderer und lies!« riefen vor zweitausend Jahren die Grabsteine den
Vorübergehenden zu. Inschriften sprachen von den Vergnügungen des Gestorbenen von Beruf und
Verdienst Charakter und Familie. Die Persönlichkeit lebte weiter in gebundener Rede. Heute
schweigen die Eiligen allenfalls ein paar Ziffern an über denen ein Name im Leeren verharrt
beziehungslos entlassen aus jedem Zusammenhang. Kein Zwiegespräch mehr von Diesseits und
Jenseits keine Totengeister die es zu beschwichtigen gilt. Das wenige das geblieben ist
gibt sich routiniert in vergeßliche Formeln gefaßt. Es ist lange her daß in diesen Breiten die
Toten zu sprechen aufgehört haben. Die Kulturgeschichte kennt Zeiten beredten und Zeiten
stummen Gedenkens sie kennt auch die Sprachlosigkeit und das leere Schweigen. In Kulturen
denen der Tod zum Tabu geworden ist weil sie ihre eigene Sterblichkeit hysterisch hinter
»Jetztzeit« verbergen ist nur mehr indirekt die Rede vom Ende. Wie der Witz nach Sigmund Freud
seine Beziehung zum Unbewußten so offenbart das Geschwätz um den Tod eine anthropologische
Enttäuschung. Alles im Griff zu haben nur »das« nicht muß kränkend sein für das einzige
Lebewesen das sich mit seiner Lage nicht abfinden kann. Der Effekt kann nur ein komischer sein
wo Bedauern an die Stelle von Trauer tritt. Durs Grünbein in den letzten Jahren bekannt
geworden mit seinen Gedichtbüchern Grauzone morgens (1988) Schädelbasislektion (1991) sowie
Falten und Fallen (1994) zieht sich diesmal ins Halbdunkel ungewisser Autorschaft zurück. Von
dort tritt er vielstimmig hervor als Philologe Herausgeber Nachdichter und Kompilator seiner
Notizbücher. Die 33 Epitaphe Den Teuren Toten singen das Lob der Entfremdung. Eine neue Lektion
deutet sich an: Lächerlich macht sich das Leben in seiner vergeblichen Wiederkehr sieht man es
als den Reinfall des Endes. Wo gestorben wird ohne daß man den Toten Gehör schenkt hat
Schwarzer Humor seinen Augenblick.