In seinen vier Vorlesungen die er als Lord Weidenfeld Lectures im Jahr 2019 in Oxford gehalten
hat setzt sich der Dichter Durs Grünbein mit einem Thema auseinander das ihn seit jenem
Augenblick beschäftigt hat als er die eigene Position in der Geschichte seiner Nation seiner
Sprachgemeinschaft und seiner Familie als historisch wahrzunehmen begann: Wie kann es sein
dass DIE GESCHICHTE seit Hegel und Marx ein Fetisch der Geisteswissenschaften die
individuelle Vorstellungskraft bis in die privaten Nischen bis in den Spieltrieb der Dichtung
hinein bestimmt? Will nicht anstelle dessen Poesie die Welt mit eigenen souveränen Augen
betrachten? In Form einer Collage oder »Photosynthese« in Text und Bild lässt Grünbein den
fundamentalen Gegensatz zwischen dichterischer Freiheit und nahezu übermächtiger
Geschichtsgebundenheit exemplarisch aufscheinen: Von der scheinbaren Kleinigkeit einer
Briefmarke mit dem Porträt Adolf Hitlers bewegt er sich über das Phänomen der »Straßen des
Führers« also der Autobahnen hinein in die Hölle des Luftkriegs. Am Schluss aber steht eine
erste Erfahrung von Ohnmacht im Schreiben und die daraus erwachsende bis heute gültige
Erkenntnis: »Es gibt etwas jenseits der Literatur das alles Schreiben in Frage stellt. Und es
gibt die Literatur die Geschichte in Fiktionen durchkreuzt.« Die renommierten Lord
Weidenfeld Lectures sind seit 1993 einer der Höhepunkte im akademischen Jahr der Universität
Oxford. Dazu eingeladen werden bedeutende Geisteswissenschaftler Schriftsteller und Dichter.
Zu den früheren Inhabern dieser Professur zählen George Steiner Umberto Eco Amos Oz und Mario
Vargas Llosa.