Ein Porträt und Sittenbild der Hauptstadt des Deutschen Reiches aus französischer Sicht Text
Mit dem Sieg über Frankreich 1871 und der Neugründung des deutschen Kaiserreiches wurde die
Hauptstadt Berlin Schauplatz einer atemberaubenden Stadtentwicklung. Bis heute ist ihr das
Schicksal beschieden "immerfort zu werden und niemals zu sein" (Karl Scheffler 1910). Der
Korrespondent des "Figaro" Charles Bonnefon (1871-1935) war als junger Student der Theologie
und Philosophie nach Göttingen und schließlich nach Berlin geraten wo er sich zum profunden
Kenner des Kulturlebens entwickelte. Frankreich war nach dem verlorenen Krieg und dem Verlust
Elsaß-Lothringens tief gedemütigt. Die auch durch die Reparationszahlungen ermöglichte
wirtschaftliche Entwicklung der Gründerzeit die Fortschritte von Wissenschaft und Technik in
Deutschland rangen zwar Respekt ab das Ungehobelte und der wachsende Militarismus wurde jedoch
als Bedrohung erlebt. Der erstmalig auf Deutsch erscheinende Text wird in der zweisprachigen
Ausgabe dem französischen Original gegenübergestellt um die dichte ausdrucksstarke und
gewählte Sprache Bonnefons zu würdigen. Neben erläuternden Fußnoten ergänzt den Text eine
Biografie des Schriftstellers der bei Kriegsausbruch eine antipreußische Haltung einnahm und
eine häufig aufgelegte Geschichte Deutschlands schrieb. Illustriert wurde das Heft von Moritz
Coschell (1872-1943) einem Wiener Maler der nach 1900 das Berliner Kulturleben bereicherte.
Er machte sich als Porträtist der Gesellschaft einen Namen und sein Atelier empfing gar
kaiserlichen Besuch. Mit Kriegsausbruch trat er als Kriegsmaler in die k.u.k. Armee ein. Danach
konnte er nicht mehr an seine Erfolge anknüpfen. Als Jude verfolgt starb er vereinsamt und
krank in Wien. Seine treffenden spätimpressionistisch geprägten Werke bedürfen der
Wiederentdeckung. Text und Abbildungen tragen durch ihre Außensicht zum Verständnis der
wilhelminischen Epoche und der Entfesselung des Krieges bei.