Mit dem Erec Hartmanns von Aue gelangt der erste Artusroman auf die literarische Szene des
mittelalterlichen Deutschland. Vor kurzem erst hatte sich die Gattung in Frankreich etabliert
und der Großmeister der arthurischen Literatur Chrétien de Troyes lieferte mit seinem Roman
Erec et Enide das Modell für Hartmann. Dieser hat freilich die Vorlage nicht einfach übersetzt
sondern sie interpretierend neugestaltet und mit eigenen Akzenten versehen. Es ist die
Geschichte einer großen Liebe. Erec der Königssohn benötigt zum Bestehen seiner ersten
Aventüre eine Partnerin gewinnt sie in Gestalt Enites die er bald heiratet und die von ihm in
solchem übermaß geliebt wird (das berühmte verligen) daß er darüber seine gesellschaftlichen
Aufgaben vernachlässigt. Der Unmut des Hofes veranlaßt ihn zusammen mit Enite auf Aventüre zu
gehen ohne daß diese und der Hof ja ohne daß die Leser des Textes erfahren wozu dies dienen
soll. Enite die immer wieder das ihr von Erec auferlegte Schweigegebot bricht um ihren Mann
vor Gefahr zu bewahren wird von diesem aus für sie und den Leser unerfindlichen Gründen
regelmäßig beschimpft und gedemütigt. Die unverbrüchliche Treue der Makellosen erkennt aber
endlich auch Erec und versöhnt sich großmütig mit ihr. Doch der Roman der bis zu diesem Punkt
der Forschung reichlich Stoff zu Diskussionen über die Schuldfrage geliefert hat ist noch
nicht zu Ende. Die umfangreiche Aventüre Joie de la curt in der Erec einen scheinbar
übermächtigen Gegner besiegt der jahrelang eine gesellschaftsferne Liebe mit seiner Freundin
gelebt und zahlreiche Eindringlinge in diese Idylle getötet hat hinterläßt im Leser gemischte
Gefühle. Denn Erec zerstört damit eine im Ideal des gemeinsamen Wollens gründende
Liebesgemeinschaft und er erfährt erst aus den Worten des Besiegten was Harmonie der Liebe
sein kann. So ist durchaus fraglich ob dieser Sieg Erecs zugleich einen Sieg des einen
Minnemodells über das andere bedeutet. Der Text des Erec ist abgesehen von wenigen kleineren
Fragmenten nur durch das am Anfang des 16. Jahrhunderts von Hans Ried geschriebene 'Ambraser
Heldenbuch' überliefert und auch das nicht ganz vollständig. Dieser große zeitliche Abstand zu
dem mehr als 300 Jahre vorher entstandenen Roman macht eine verläßliche Rekonstruktion des
Hartmannschen Textes zu einem Ding der Unmöglichkeit. Die unbestreitbare Qualität der Ambraser
Handschrift andererseits sollte es verbieten im Bestreben Hartmanns Wortlaut wiederzufinden
sich unnötig von Rieds Text zu entfernen. Die vorliegende Edition kehrt gegenüber der zur Zeit
maßgeblichen Erec-Ausgabe in weit mehr als 500 Fällen zum Text der Handschrift zurück sie
führt eine moderne Interpunktion ein und kann aus diesen Gründen durchaus als Neuausgabe
verstanden werden. Die übersetzung will dem mittelhochdeutschen Text so gerecht wie möglich
werden: Die erzählerische Lebendigkeit des Originals sollte mit größtmöglicher Genauigkeit in
ein direktes zupackendes Neuhochdeutsch übertragen werden in dem der Drive der Vorlage stets
spürbar bleibt. Der ausführliche Stellenkommentar bietet neben den zu erwartenden sprachlichen
und sachlichen Verständnishilfen auch auf weite Strecken Interpretationshinweise sowie eine
intensive Diskussion der Forschung. So will die immer wieder den Vergleich mit Chrétien
suchende Kommentierung dazu beitragen Hartmanns Neuschöpfung als ein Meisterwerk der
Erzählkunst zu erweisen das souverän mit narrativen Innovationen spielt - nämlich zugleich der
Fiktionalität des Erzählens des Erzählers und des Publikums - und sie den Nachfolgern
namentlich Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg verfügbar macht.