Salmen Gradowski war ein Mitglied des »Sonderkommandos« von Auschwitz - jener Gruppe (nicht
nur) jüdischer Häftlinge die die Opfer in die Gaskammern begleiten und deren Körper nach der
Vergasung verbrennen mussten. Einige von ihnen notierten das Verbrechen in allen Einzelheiten
und vergruben ihr Zeugnis auf dem Lagergelände. Der erste unvollständige Teil von Gradowskis
Aufzeichnungen in einer Flasche versteckt wurde 1945 auf dem Gelände des Vernichtungslagers
Birkenau von Soldaten der Roten Armee gefunden und 1969 in Warschau erstmals veröffentlicht.
Den zweiten Teil - in einer Dose versteckt - verkaufte ein polnischer Finder dem in Auschwitz
lebenden Chaim Wollnerman der 1947 nach Palästina auswanderte und das Zeugnis erst 1977 im
Privatdruck veröffentlichte. Sämtliche Texte Gradowskis erscheinen hier erstmals vollständig in
deutscher Übersetzung. Gradowskis Zeugnis ist von einer fast unerträglichen Akribie und
Sprachkraft. Inmitten der Katastrophe die er durchlebt in dem Bewusstsein sich nur an Gott
und an eine Nachwelt richten zu können versucht Gradowski die eigene und die kollektive
Erfahrung der Judenvernichtung als Menschheitsgeschehen zu deuten. Um der unversöhnlichen
Trauer Stimme zu geben greift er zurück auf das liturgische Repertoire wie Klagelieder oder
apokalyptische Schriften aber auch auf neujiddische Poesie. Die Vereinigung von literarischem
Dokument und historischem Zeugnis macht Gradowskis Aufzeichnungen einzigartig.