Die Capella Speciosa ist ein Export gotischer Architekturformen wie sie die königliche
Baukunst Frankreichs dieser Zeit auszeichneten. Als Werk französischer Baukünstler beansprucht
die Kapelle in der Architektur des Mittelalters in Österreich eine einzigartige Stellung. Die
enge Übereinstimmung mit den Chorkapellen der Kathedrale in Reims und den Detailformen der
Kathedrale von Auxerre erlauben eine präzise Einordnung. Verfolgt man die Entwicklung der
Kapellen in Frankreich so zeigt sich in dieser Zeit eine intensive Verdichtung der
Bedeutungsinhalte. Die Reliquienverehrung in der Privatandacht steigert sich vom scholastischen
Sachzeugnis zum mystischen Erlebnis. Damit ist die Capella Speciosa in der Art der
französischen Saintes-Chapelles zu verstehen. Ihre raffinierten Einrichtungen wie der Laufgang
für die Aufstellung der Reliquien die Kostbarkeit des Baumaterials und die bildhauerische
Qualität der Bauplastik verhalfen zu einer spirituell gesteigerten Reliquienverehrung in einem
Gesamtkunstwerk. Für Herzog Leopold VI. bildete die Capella Speciosa nicht nur einen
prachtvollen Schrein für seinen Reliquienbesitz sondern vermittelte ihm das Erlebnis einer
mystischen Gottesschau. Im zweiten Abschnitt des Bandes werden französische Bauten im Umfeld
des ungarischen königlichen Hofs untersucht an welchem die Hochgotik bereits um 1220
erschienen ist. Stehen diese mitteleuropäischen Werke miteinander in Zusammenhang? Welche
historischen Umstände führten zu ihrer Verwirklichung? Was wissen wir über die Auftraggeber und
was über die Meister? Was verraten die Zusammenhänge der Strukturelemente und der Detailformen?
Und was kann die geheimnisvolle Figur des Villard de Honnecourt und seine denkwürdige Reise
nach Ungarn mit all dem zu tun haben? In neun Kapiteln untersucht Tibor Rostás den Gegenstand
mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Im Anhang des Buches steht eine Zusammenfassung der
Ergebnisse der Rotmarmor-Forschung.