Für Claude Lévi-Strauss markierte das Inzestverbot den Übergang von der Natur zur Kultur. Auch
wenn die Natur Kultur-Dichotomie heute meist kritisch betrachtet wird bleibt sowohl das
Phänomen des Inzests als auch sein Verbot eine kulturelle Konstante die sich durch nahezu alle
Gesellschaften zieht. Allerdings erweist sich schon der Begriff des Inzests bei genauerem
Hinsehen als soziales Konstrukt denn die Grade der biologischen Verwandtschaft spielen dabei
oft eine geringere Rolle als die jeweiligen gesellschaftlichen Funktionen der Individuen.
Insbesondere in einer Zeit in der in vielen Teilen der Welt eine Rückbesinnung auf
traditionelle Familienmodelle zu beobachten ist die oft mit einer aggressiven Ablehnung
anderer als abnorm gebrandmarkter Lebensformen einhergeht stellt die anthropologische
Forschung Godeliers eine wichtige Horizonterweiterung dar: Indem sie uns mit der Vielfalt der
möglichen Erscheinungsformen des Menschlichen konfrontiert relativiert sie den Anspruch
patriarchaler Gesellschaftsmodelle und mahnt uns zur Toleranz.