Sich im Kino fesseln zu lassen war für die Nachkriegsgesellschaft nicht nur ein harmloses
Freizeitvergnügen im Übergang von der Barbarei zur Zivilisation. Jener dunkle Raum mit seinen
Lichtspielen war ein Ort der Reorientierung im Chaos der Wiederherstellung von Alltag eines
der Spielfelder auf denen die neue Nachkriegsidentität ausgehandelt wurde. Das Publikum das
eine albtraumhafte Vergangenheit zu verarbeiten hatte und sich nun auf neue Ordnungssysteme
einstellen musste strömte in Massen. Seine Reaktionen Vorlieben und Abneigungen genauer in
Augenschein zu nehmen erlaubt einen Blick in die Tiefe einer Gesellschaft im Zustand der
Transformation. Die wieder eröffneten Kinos waren aus dem Stand heraus international:
amerikanisch britisch französisch russisch. Die fremden Gesellschaftsbilder prallten auf ein
im deutschnationalen Wahn sozialisiertes Publikum das den Umgang mit Alterität erst wieder
lernen musste. Reagierte es mit Zuspruch oder Abwehr? Die westdeutsche Filmproduktion die sich
zunächst an "Trümmerfilmen" versuchte schaltete in den fünfziger Jahren um auf totales
Publikumskino. Zwischen der Produktion und ihren Adressaten herrschte ungetrübtes Einvernehmen
- ein Pakt der versprach quälende Erinnerungen an die traumatische Vergangenheit und Fragen
nach Schuld und Verantwortung auszublenden. Doch konnte die Harmonieoffensive der Heimat-
Arzt- und Familienfilme wirklich alles Unreflektierte und Verdrängte zudecken? Wie sehr es in
den tieferen Schichten rumorte zeigen die hysterischen Reaktionen auf ausländische Filme die
es wagten das Schweigekartell zu durchbrechen - und sei es nur mit Anspielungen auf die
deutschen Verbrechen. Ihnen war eine derbe Abfuhr als "antideutsche Hetze" sicher sofern die
Synchronisation nicht für eine publikumskompatible "deutsche Fassung" sorgte. Die Camouflage
richtete sich gegen negative Deutschlandbilder die als Kollektivschuldvorwurf gedeutet wurden.