In diesem Buch geht es um drei zusammenhängende Themen. Zuerst erkennen wir in der Handlung der
Romane Kafkas einen durchgängigen Konflikt: den des Individuums mit einer fremden Macht die
Ersterem den Platz zum Leben limitieren möchte. Alleine das in Kafka zu entdecken ist wohl
weder neu noch originell. Erst wenn wir konkreter werden wird es spannend: der Konflikt
zwischen dem bürgerlichen Individuum und dem feudalen Prinzip. Das Feudale an diesem Prinzip
bezieht sich zwar auf die im 19. Jahrhundert ökonomisch überholte und aufgelöste feudale Klasse
aber das Prinzipielle daran ist als höchst reales Ding nicht totzukriegen. Es lebt in dem
Phänomen der Bürokratie fort - einer sich verselbstständigenden Vermittlung zwischen den
eigentlichen Subjekten des Kapitalismus genauso wie jenen der Planwirtschaften des 20.
Jahrhunderts. Erst in dieser historischen Dimension kann auch die politische Brisanz Kafkas
entschlüsselt werden. Zweitens sind wir dem Phänomen Individuum auf der Spur um das
literarische Individuum bei Kafka mit dem realen Individuum zu konfrontieren. Das reale
Individuum als historischer Typus erstand nach dem europäischen Mittelalter in einem
sozioökonomischen Prozess: der Umwandlung der feudalen Dorfwirtschaft in eine globale
Warenwirtschaft. Während dieser jahrhundertelangen Umwandlung produzierte das reale Individuum
auch die Vorstellung seiner selbst: die Idee des Individuums wie sie etwa in der Aufklärung
des 18. Jahrhunderts bei Immanuel Kant auftritt und wie sie in den Widerspruch zu ihrer eigenen
sozialen Basis gerät. Das Produkt dieses Widerspruches ist eine Ideologie. Drittens begegnet
uns das Individuum im Kunstprozess also in der Produktion der Distribution und der Konsumtion
von Kunst. Wir werfen einen Blick auf die sich ständig ändernde soziale Stellung des Künstlers
und auf die Barrieren die das Kapital oder die Bürokratie der Planwirtschaft dem individuellen
Bewusstsein des Künstlers setzt.