Das von Hermann Henselmann als Wohn- und Kinderkaufhaus konzipierte Haus des Kindes befand sich
am Eingang zur damaligen Stalinallee. Das dortige Leben ist der Ausgangs- und
Kristallisationspunkt eines episodenhaft erzählten Romans der vor dem 17. Juni 1953 beginnt
und 1965 endet. Als die kommunistischen Eltern der Erzählerin nach Kriegsende aus der
englischen Emigration nach Deutschland zurückkehren ziehen sie schon bald mit ihren Kindern in
das beeindruckende Gebäude am heutigen Strausberger Platz. Durch die Augen des Mädchens
begegnen wir ihren Nachbarn Hermann und Irene Henselmann Robert und Karin Havemann den
Schriftstellern Alex Wedding F. C. Weiskopf und Bodo Uhse. Sie alle verbindet der Glaube an
ein anderes Deutschland. Doch auch Gleichaltrige lernt das Mädchen kennen. Etwa den
Nachbarsjungen dessen Eltern nach dem Krieg in die Sowjetunion verschleppt wurden und dessen
Mutter später in den Westen flüchten wird. Oder ihre Schulfreundin Gilda die in einem alten
Mietshaus hinter der Stalinallee wie in einem anderen Kosmos aufwächst und die verwaiste
Zsuzsa die nach dem Volksaufstand 1956 aus Ungarn nach Berlin verpflanzt wurde und zu Besuch
ins Haus des Kindes kommt. Nach wenigen Jahren fallen die ersten Kacheln von der Fassade auf
die Straße und auch zwischen den Bewohern zeigen sich deutliche Risse. Die Protagonistin
erlebt den Widerspruch zwischen ihrer privilegierten Situation und der Außenwelt zwischen der
Stalinallee und ihren Seitenstraßen deren Lebenswirklichkeit zu den Erwachsenen in ihrer
Umgebung oft nur schwer vorzudringen scheint. Zu sehr wird deren Gegenwart von ihrer eigenen
Verfolgungsgeschichte und einer idealisierten Zukunftsvorstellung voller Täuschung und
Selbsttäuschung bestimmt. Die Erzählerin muss sich - so als lebte sie in einer Scheinwelt - der
Realität immer wieder aufs Neue versichern: Was ist wirklich was eingebildet und warum muss
ständig etwas verschwiegen werden? Helga Kurzchalia hat mit »Haus des Kindes« eine
literarische Spurensuche geschaffen die dokumentarische Genauigkeit mit erzählerischer
Originalität verbindet.