Über die Schultern eines Schriftstellers geblicktIn «Eine Erzählung schreiben und verstehen»
begleitet Peter Bieri den Leser in seine Schriftstellerwerkstatt wo er ihn bei seiner Arbeit
grosszügig über seine Schulter blicken lässt und zeigt dass ein Schriftsteller im Bann seiner
Phantasie nicht einfach blind drauflosschreiben kann sondern auch «viele Dinge» bewusst
entscheiden muss. Dazu gehören Handlung und Figuren die Position des Erzählers Innen- und
Aussensicht die besondere Art der Spannung die Wahl der Worte und schliesslich Rhythmus und
Melodie des Textes. Dann werde es so Bieri «eine Erzählung sein die Sie nicht als bloss
Erzähltes erleben sondern als eine Geschichte von der es einfach unmöglich ist zu glauben
dass sie nicht stattgefunden hat.»«Eine interessante Erzählung zeigt uns Figuren an denen wir
sehen wie vielschichtig Menschen sind wie oft die oberflächliche Rationalität durchbrochen
wird wie zerbrechlich eine emotionale Identität sein kann. Kommissär Matthäi der uns anfangs
als ruhiger überlegter berechenbarer Mann vorgestellt wird lässt seine neue Aufgabe in
Jordanien einfach sausen und wird von einer Unterströmung in sich selbst erfasst die ihn zum
Alkoholiker macht der an einer Tankstelle vor sich hin stiert. Wie konnte das passieren? Was
war da in ihm angelegt an Verbohrtheit und Fanatismus das sich Bahn brach? Woher diese
Grausamkeit die ja auch eine Grausamkeit gegen sich selbst ist? Und könnte Ähnliches auch mir
passieren?Kunstvolle literarische Erzählungen erinnern uns auf diese Weise an uns selbst und
sind in diesem Sinne eine Quelle der Selbsterkenntnis. Das können sie nur deshalb sein weil
sie einem wichtigen Gedanken verpflichtet sind: nie die Komplexität des menschlichen Denkens
Fühlens und Handelns zu unterschätzen. Der Geist des literarischen Erzählens ist der Geist der
Komplexität. Ein literarischer Erzähler kämpft einen Kampf gegen zu einfache eindimensionale
Vorstellungen vom menschlichen Tun.»