Ist es für den Erfolg einer Unterweisung entscheidend wo sie platziert ist? Diese Frage wird
aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive an die Fables choisies mises en vers
des französischen Fabeldichters Jean de La Fontaine gestellt. Inwiefern beeinflusst also der
Ort des Lehrsatzes die Weisheit die Lehre einer Fabel? Deren scheinbar einfache Verortung ist
bei La Fontaine kompliziert da sie entgegen der verbreiteten Auffassung nicht auf der Hand
liegt sondern versteckt als impliziter Lehrsatz auftritt. Seine Fabeln sind im Kontext
kulturgeschichtlicher Entwicklungen zu lesen insbesondere der Herausbildung des
gesellschaftlichen Verhaltensideals der 'honnêteté' und der literarischen Kunst der Beobachtung
des Moralismus. Sie greifen jedoch vor allem ästhetische Prinzipien auf die den französischen
Landschaftsgarten geprägt haben: geometrische Strukturen Perspektivwechsel gezielte
Blicklenkung und Überraschungen lassen das Publikum wie bei einem Spaziergang in Muße von Fabel
zu Fabel schreiten. Die Weisheit entfaltet sich dabei in der Analyse einer einzelnen der
vergleichenden Lektüre mehrerer Fabeln sowie in der Betrachtung der Sammlung als Ganzschrift.