Die Texte Leonardo da Vincis zur Malerei gehören zu den wichtigsten und über die Jahrhunderte
hinweg einflussreichsten Quellschriften in der Geschichte der Kunst.Leonardo (1452-1519) hatte
um 1490 damals in den Diensten Lodovico Sforzas am Mailänder Hof mit ersten Aufzeichnungen
für ein Lehrbuch der Malerei begonnen - ein ehrgeiziges Projekt das mit seinem universalen
letztlich philosophischen Anspruch weit über die herkömmliche Traktat-Literatur hinausging. Der
geplante Trattato della pittura blieb unvollendet. Als Leonardo 1519 in Frankreich starb
hinterließ er eine Fülle loser Mauskriptblätter und Hefte die in den Besitz seines Schülers
und Nachlassverwalters Francesco Melzi übergingen und - eine Folge seines legendären Nachruhms
- sehr schnell zu Sammlerstücken und Handelsobjekten wurden. Fragmente der in Spiegelschrift
und in Leonardos toskanischem Italienisch verfassten Autographe vereinzelte Portfolios sogar
herausgeschnittene Zeichnungen wechselten häufig den Besitzer gingen verloren oder verstreuten
sich in die Bibliotheken der europäischen Königs- und Fürstenhöfe wo sie zum Teil bis weit ins
20. Jahrhundert hinein unerkannt lagerten.Was vielfach noch heute Leonardos Traktat über die
Malerei genannt wird und bis vor wenigen Jahrzehnten Grundlage aller Interpretationen und
Ãœbersetzungen war ist eine Kompilation: der sogenannte Codex Urbinas eine unvollendete mehr
oder weniger systematisch angelegte Abschrift des ungeordneten Textmaterials die Francesco
Melzi kurz nach dem Tod des Meisters zusammenstellte.André Chastel (1912-1990) der wohl
renommierteste unter den französischen Renaissance-Experten hat mit der hier vorliegenden
Ausgabe erstmals den Versuch unternommen Leonardos Schriften zur Malerei anhand sämtlicher
erhaltenen Originalmanuskripte neu zu sichten methodisch zu ordnen und in vergleichenden
Studien den mutmaßlich authentischen Zusammenhang zu rekonstruieren. Entstanden ist dabei ein
erstaunliches Lesebuch das dem Wissenschaftler aber auch dem interessierten Laien die ganze
Spannweite und die überraschende Aktualität von Leonardos Denken erschließt. Für die deutsche
Ausgabe übertrug Marianne Schneider Leonardos Aufzeichnungen direkt aus dem transkribierten
italienischen Original. Farbige Abbildungen aller durch Dokumente Quellen oder Zuschreibung
gesicherten Gemälde und Kartons Leonardos sind den Texten vorangestellt. Im Zusammenspiel von
Bildtafeln Vergleichsabbildungen Zeichnungen und Schriften aus Leonardos Hand und angeleitet
von den luziden Kommentaren André Chastels ist es dem Leser möglich den Entsprechungen
vielleicht auch Widersprüchen von Theorie und Praxis im Werk dieser großen
Künstlerpersönlichkeit selbst nachzuspüren.