Er war der »jüdische Fontane« Am 7. Oktober 1871 wurde Georg Hermann in Berlin geboren. Wir
feiern mit einem vergessenen Doppelroman seinen 150. Geburtstag. Mit seinem
psychologisch-realistischen Gesellschaftsroman »Jettchen Gebert« und dessen Fortsetzung
»Henriette Jacoby« (1906 08) wurde Georg Hermann zur literarischen Berühmtheit. Sein Zeitroman
»Kubinke« von 1910 erzählt die Lebensgeschichte eines »kleinen Mannes«. Nach der Lektüre haben
wir Emil Kubinke den schüchternen Friseurgehilfen der im Berliner Westen Fuß zu fassen
versucht und dabei untergeht nie vergessen. 1912 erschien »Die Nacht des Dr. Herzfeld« und
1921 die mitten im Ersten Weltkrieg handelnde Fortsetzung »Schnee« ein Doppelroman. Zwischen
den Romanen liegen ein Krieg und Welten - aber es ist der Tonfall wehmütiger Heiterkeit der
sie verbindet. Georg Hermann ist der essayistisch lustvoll erzählende große Chronist einer
jüdisch-bürgerlichen Lebenswelt und sein Dr. Herzfeld Vertreter eines großstädtischen
gebildeten Judentums. Georg Hermanns Romane schaffen impressionistische Wahrnehmungstableaus
aus dem Metropolenleben. In seiner Dachwohnung im Gartenhaus lebt Dr. Alwin Herzfeld seinen
fünfzig Lebensjahren nah eine Eigenbrötlerexistenz. Die Wohnung im Parterre hält Hermann
Gutzeit mit seiner Familie Gesprächspartner während langer Gänge durch die Metropole. Herzfeld
ist akademisch gebildeter Schriftsteller Kritiker »nachdenklich wie alle deren Wissenschaft
das Leben ist« - vor allem aber skurriler Sammler von Kunst und den Erregungen des flüchtigen
Augenblicks. Herzfeld ist ein Augenmensch ein Ästhet. Immerfort räsoniert er ein brillant
eloquenter Schöngeist der mit seinem Nachbarn einem erfolglosen kleinen Zeitungsschreiber
durch Berlins Straßen um 1910 lustwandelt Kurfürstendamm mit seinen »Protzenburgen« Anhalter
Bahnhof Villenviertel blühende Vorgärten. Sie sind ein ungleiches Paar immer in plaudernder
Konversation aber beide vom Leben lädiert. Am nachtschwärmenden Flaneur Herzfeld zieht die
Stadt mit ihrem neuen Reichtum vorbei der »Sudkessel « der Bohème die er liebt die
Caféterrassen Erinnerungen Begegnungen - sein Leben ist wie ein fortwährender innerer Monolog
ein impressionistischer Reigen ein nie versiegender Strom des Bewusstseins inmitten der
Atmosphäre der großen Stadt mit ihren unendlichen Reizen in denen sich Herzfeld träumend
verliert. Auf die »Nacht des Dr. Herzfeld« lässt Georg Hermann neun Jahre später den
Antikriegsroman »Schnee« folgen auf Sommernächte folgt der Novemberhimmel über Berlin. Über
die Schienen auf die er aus seinem Fenster sieht rollen erst die Truppentransporte dann
leuchten auf den Waggons die »roten Kreuze auf dem weißen Feld«. Dr. Herzfeld hat die jungen
Freunde verloren die älteren haben sich mit dem Krieg abgefunden unter den Schneeschleiern
über Berlin ist es einsam um den großen Individualisten geworden der Krieg hat ihn »aus seinem
Zentrum geworfen« die letzten Illusionen sind zerstoben.