Gerade in Zeiten in denen die Krisenhaftigkeit der Gegenwart beständig thematisiert wird
liegt es nahe von der Philosophie eine kritische Einordnung des Beunruhigt-Seins zu erhoffen.
Gerhard Weinberger unternimmt in seinem Essay nicht nur einen derartigen Versuch der Besorgnis
ihren (durchaus konstruktiven) Platz unter den Gemütslagen zuzuweisen sondern rekonstruiert
diese grundlegender im Sinne einer Triebkraft des Menschen die es ihm ermöglicht sein Leben
als eine Folge ethischer Fragestellungen und so auch als aktiv zu gestaltendes ethisches
Projekt zu verstehen. Nimmt die ontologisch orientierte Philosophie seit Aristoteles ihren
Ausgangspunkt beim Staunen so lässt Weinberger sein ethisch ausgerichtetes Philosophieren vom
Zustand der Beunruhigung ausgehen. Als Gewährsmänner und Gesprächspartner dienen ihm hierbei
Emmanuel Levinas und François Jullien deren beider Philosophien einen solchen fundamentalen
Vorrang der Ethik behaupten. Weinberger zeichnet diese beiden Ansätze konzise nach da sie die
Annahme teilen dass Beunruhigung die Voraussetzung für jedwede ethische Perspektive bildet -
doch höchst unterschiedliche Schlüsse aus dieser Voraussetzung ziehen. Bei Jullien besteht eine
ethische Selbstermächtigung zunächst in einer Kraftanstrengung des Ich um der Banalität eines
vor-reflexiven Dahinlebens zu entkommen und in eine höhere erweiterte Dimension des Daseins
vorzustoßen. Bei Levinas hingegen wird der Mensch durch die Begegnung mit dem anderen Menschen
auf die Enge des ursprünglich bloß egoistischen Lebens aufmerksam und kann durch Hinwendung
zum Anderen dem teuflischen Kreislauf eines egozentrischen Lebens entkommen. Das Ich macht
Platz für den Anderen und erlebt das Wunder des von sich selbst befreiten Daseins das nicht
nach neuen Gipfeln strebt sondern im Tal der Verantwortung für den Mitmenschen seinen Sinn
findet. Weinbergers vergleichende Lektüre führt verständlich in das Werk beider Denker ein und
liefert eine wechselseitige Kritik beider Perspektiven. Zudem entwirft der Essay die
Beunruhigung als ein spezifisches Potenzial des Menschen das ihn davor bewahrt weder dem
lähmenden Pessimismus der vorgeblich ständig drohenden Apokalypse anheim zu fallen noch sich
mit sinnentleerter Wohlfühlmentalität über jedes Krisenbewusstsein hinweg zu schwindeln.