Expeditionsreisende in nachtländische Jenseitsreiche besessene Archivare des vorgeblich
Unsichtbaren Traum-Sammler und luzid im Dunkeln tappende Kommissare aber auch ver-rückte
Söhne auf (metaphysischer) Vatersuche und zahllose Väter im Geiste - von Melville über Dante
bis zu Tarkowski und Beuys um nur einige wenige zu nennen - bevölkern Gerhard Roths Literatur.
Vom »Wahn die gesamte Welt bis in ihre Einzelteile zu beziffern um sie vielleicht nach der
Apokalypse anhand exakter Pläne wieder zusammenzubauen« berichtet er in einem seiner Essays
und verliert sich mit sichtlichem Vergnügen in ausschweifenden Aufzählungen von
Sammlungsobjekten aus den Wunderkammern der Wirklichkeit.Der 1942 geborene Gerhard Roth gehörte
jener Generation von Autorinnen und Autoren an für die das eigene Leben mit einer Art
Weltuntergang einsetzte. Im Bombenhagel der alliierten Befreier waren nicht nur Häuser und
Menschen sondern auch und vor allem vermeintliche Sicherheiten verschwunden. Schreibend baute
er seine Archen in denen er den Opfern der Geschichte den Außenseitern den bedrohten Arten
(Menschen Tieren Pflanzen) und den dem Vergessen anheimfallenden Dingen (Alltags- und
Kunstgegenständen Büchern) - und nicht zuletzt sich selbst - Schutzräume errichtete. Nicht um
nach der Katastrophe die archivierte Welt identisch wieder zusammenzusetzen - Roth hätte sie
vermutlich ganz anders gebaut: Die Archen selbst die er konstruierte und mit seinen
Materialien belud wurden vielmehr zu seiner eigentlichen Welt einer zweiten Wirklichkeit in
der Fiktion in der die Dinge ästhetisch aufgehoben gerettet sind.Roth ist knapp vor seinem
80. Geburtstag gestorben seine letzten beiden Romane die noch einmal die Summe seiner
vorherigen Werke ziehen (insgesamt 46 Bücher darunter die beiden großen Erzähl-Zyklen Die
Archive des Schweigens und Orkus ) sind mittlerweile erschienen: Roths postapokalyptische
Arche Noah Die Imker (2022 posthum veröffentlicht) und seine Fragment gebliebene Jenseitsreise
deren Originalfassung in vier Schreibheften am Franz-Nabl-Institut archiviert ist und die im
Frühjahr 2024 aus dem Nachlass publiziert wurde. Gemeinsam hätten sie die ersten beiden Teile
einer geplanten Jenseits-Trilogie bilden sollen die mit einem »Tagebuch« als letztem Band
wieder ins Diesseits zurückführen sollte.Der Zeitpunkt scheint geeignet um mit Expertinnen und
Experten aus unterschiedlichen Bereichen - von den Literatur- Bibliotheks- Archiv- und
Kulturwissenschaften über das Verlagswesen und die Literaturkritik bis zur
kunstwissenschaftlichen Kuratorentätigkeit - eine erste posthume Verortung des nun
abgeschlossenen Gesamtwerks vorzunehmen und dabei ergänzend zu den bekannten Fragestellungen
aus der Roth-Forschung auch neuere Ansätze (wie etwa den Posthumanismus) zu berücksichtigen.
Mit Beiträgen von: Stefan Alker-Windbichler Daniela Bartens Hans-Bernd Bunte Silvana Cimenti
Thomas Combrink Anna Fercher Renate Giacomuzzi Sven Hanuschek Wernfried Hofmeister Günther
Holler-Schuster Jürgen Hosemann Kristina Pfoser Monika Schmitz-Emans und Nicole
Streitler-Kastberger