Mit diesem Buch legt Thilo Diefenbach ein Panoptikum der taiwanischen Literaturen vor - das
erste überhaupt in einer westlichen Sprache. Die Anthologie setzt mit Beispielen aus der
mündlichen Überlieferung ein d.h. mit Legenden Märchen und Sagen der Ureinwohner aber auch
jenen der Einwanderer aus China die ab dem 17. Jahrhundert vermehrt nach Taiwan kamen. Darauf
folgt die frühe schriftlich festgehaltene Literatur: Eine Dichtung die sich formal durchweg an
den klassischen Mustern der chinesischen Tradition orientierte aber inhaltlich zunehmend
eigene Züge aufwies etwa in der Beschreibung der Landschaften und der Ureinwohner Taiwans.
Weitere Texte belegen wie Anfang des 20. Jahrhunderts die literarische Moderne Einzug in
Taiwan hielt wobei nicht nur China sondern auch Japan und christliche Missionare eine Rolle
als Vermittler spielten. In diesem Zeitraum machte sich die Mehrsprachigkeit Taiwans auch im
Schriftbild bemerkbar: sinitische Schriftzeichen japanische Silbenalphabete und lateinische
Buchstaben wurden parallel verwendet. Politische Zwangsmaßnahmen unter der japanischen
Herrschaft (1895-1945) ebenso wie unter dem Kriegsrecht das die Regierung der Republik China
bis 1987 über Taiwan verhängte verhinderten lange Zeit eine freie Entwicklung der Literatur
und auch der in Taiwan gebräuchlichen Sprachen. Dass dennoch interessante Werke erscheinen
konnten will dieser Band mit weiteren Textbeispielen belegen. Erst seit dem Beginn der
Demokratisierung in den späten 1980er Jahren können sich Literatur und Sprachen wieder frei
entfalten. Die über hundert Beiträge in diesem Buch sind aus vier Sprachen übersetzt (Mandarin
klassisches Sinitisch Japanisch Taiwanesisch) und durchweg ausgiebig kommentiert. Es gewährt
somit einen tiefen Einblick in die sprachliche formale und inhaltliche Vielfalt der
taiwanischen Literaturen.Thilo Diefenbach hat mit der Genauigkeit des Übersetzers und der
Hingabe des Liebhabers Taiwans literarische Landkarte gezeichnet. Entstanden ist ein Kompendium
das Abgründe von Jahrhunderten durchquert - und eine Anthologie die nicht übertroffen werden
wird. (Paul Ingendaay)