Wie schwul ist die Operette? Darüber lässt sich ähnlich kontrovers diskutieren wie über die
Frage ob das Genre nur sinnfreies Hupfdohlen-Entertainment ist oder eine ernstzunehmende
Kunstform. Als Leiter des Amsterdamer Operetta Research Centers hat Kevin Clarke zu beiden
Punkten eine klare Haltung. Aus seiner Sicht ist das angestaubte Image der Operette einfach nur
ein Missverständnis. Das ursprünglich innovative und gesellschaftskritische Genre wurde erst im
Lauf der Zeit (vor allem durch die Nazis) auf das spießig-reaktionäre Heile-Welt-Format
zurechtgestutzt dem es seinen heutigen Ruf verdankt. Dass in diesem Zuge auch der progressive
Umgang mit (Homo-)Sexualität verlorenging ist ein Nebeneffekt dieser Entwicklung. Doch es
bewegt sich was. Ob Barrie Kosky in Berlin Sasha Regan mit ihren
All-Male-Gilbert-and-Sullivan-Produktionen in England oder Nitzberg & Neill in den USA -
allerorten besinnen sich Theatermacher*innen auf die anarchisch-queeren Ursprünge der Operette
zurück kulminierend in der "Operette für zwei schwule Tenöre" mit der Johannes Kram und
Florian Ludewig einen spektakulären Hit landeten. Und natürlich hat es auch in den Jahrzehnten
zuvor immer wieder Inszenierungen gegeben die sich dem subversiv-frivolen Geist der Urväter
Offenbach & Hervé verpflichtet sahen. Von solchen Aufführungen und ihren historischen
Vorbildern handelt "Glitter and Be Gay Reloaded". Der Zusatz "Reloaded" bezieht sich dabei
nicht nur auf die Wiederbelebung des alten Bisses sondern auch darauf dass Clarke bereits
2007 in seinem seit Langem vergriffenen Sammelband "Glitter and Be Gay - Die authentische
Operette und ihre schwulen Verehrer" forderte die Welt möge "die Scheuklappen ablegen und das
Genre so betrachten wie es ursprünglich gedacht war. Als Kunstform am Puls der Zeit mit Witz
und Pfiff. Und Sex in allen Formen und Variationen." Die Reloaded-Ausgabe ist eine vollständig
überarbeitete und deutlich erweiterte Fassung des damaligen Werks. Neben den wichtigsten
Grundlagentexten aus der Erstausgabe enthält sie neue Texte von Musical-Journalist Nick-Martin
Sternitzke US-Musiktheater-Experte Brian Valencia und Publikumsforscher Tillmann Triest.
Weitere Beiträge liefern Philipp Amelungsen Marie-Theres Arnbom Rainer Bielfeldt Andreas
Gergen Josef E. Köpplinger Enrique Mejías García Christophe Mirambeau Richard Norton Ralf
Pleger Ralf Jörg Raber Axel Ranisch John Rigby Margot Schlönzke u. v. a. Natürlich meldet
sich auch der Herausgeber selbst mit neuen Erkenntnissen zu Wort die die jüngere Entwicklung
spiegeln.