Riesige unglaubliche Löcher gibt es in meinem Lebenswerk Zu Ágnes Nemes Nagys Poesie Die
ungarische Dichterin Ágnes Nemes Nagy (1922-1991) gehörte jener Generation an deren Jugend und
Heranreifen zur Dichterin in die Jahre des Zweiten Weltkriegs fiel. Der Krieg zwang sie alle
zur Stellungnahme und er wurde für ihr ganzes Leben zur Referenzbasis. Auch dann wenn sie
keine Zeile darüber geschrieben haben. Wenn ich versuche sie innerhalb ihrer Generation auf
der Weltkarte der Lyrik zu platzieren dann gehört Nemes Nagy in die Gesellschaft von Lyrikern
deren Poetik miteinander verwandt war oder im Gegenteil zueinander in Opposition stand wie
Paul Celan Ingeborg Bachmann Yves Bonnefoy Wislawa Szymborska Lorand Gaspar Miroslav Holub
Philip Larkin Vasko Popa Allen Ginsberg und Robert Lowell ebenso Franz Fühmann der an
seinem Lebensabend einen Gedichtband von ihr übersetzt hat. Diese Lyriker waren entweder
Verfolgte oder sie kämpften gezwungenermaßen oder aus Überzeugung auf einer der Seiten. Es gab
solche die den Dienst verweigert hatten oder sich tatkräftig am antifaschistischen Widerstand
beteiligten. Ágnes Nemes Nagy half 1944 an der Rettung der verfolgten Juden gemeinsam mit
ihrer Chemikerin-Schwägerin fälschte sie Dokumente und brachte befreiende Bescheinigungen sowie
Kleidungsstücke in die mit einem Stern bezeichneten Häuser. Hierüber sprach sie aber kaum. Kam
es in Interviews dennoch zur Sprache erwähnte sie es kurz angebunden und sachgemäß. 1997
erhielt sie posthum die Yad Vashem-Auszeichnung des Staates Israel. In ihrem Essay Vorwort zu
einem Lyrikband das sie für eine englischsprachige Lyrikauswahl vorbereitete charakterisierte
sie ihre Dichtung folgendermaßen: Der Dichter ist der Spezialist der Gefühle. Im Laufe der
Ausübung meines Berufs machte ich die Erfahrung dass die sogenannten Gefühle aus mindestens
zwei Schichten bestehen. Die allgemeine Vereinbarung hat im Großen und Ganzen dasselbe
Verständnis von ihnen ihnen ist eine Vergangenheit eine Wissenschaft und Literaturgeschichte
eigen. Sie sind Staatsbürger unserer Herzen. - Die andere Schicht ist das Niemandsland der
Namenlosen. Wenn ich um 18 Uhr abends an der Ecke der Kékgolyó-Straße ankomme und sehe dass
der Rand des Sonnenscheins in einem gewissen Winkel auf die Burg fällt und die Olivenbäume des
Vérmezö ihren Schatten auf eine gewisse Weise werfen werde ich immer wieder erschüttert. Diese
Gemütsbewegung hat keinen Namen. Dabei stand schon jeder an der Ecke je einer Kékgolyó-Straße.
Wie oft bin ich genötigt dem namenlosen Gefühl einen konventionellen Namen zu geben! Und nicht
nur um die Schraube der Logik der allgemeinen Vereinbarung mit Öl zu beträufeln. Nein. In
meiner verständnislosen Verwirrung verderbe ich selbst die Sache und stürze das Namenlose der
Kékgolyó-Straße in eine Pfütze herbstlicher Nostal-gie oder in ein Becken historischer
Begeisterung. Gewiss zumal die herbstliche Nostalgie und die historische Begeisterung bereits
unser Herz bewohnen. Ich glaube es gehört zu den Pflichten des Dichters immer mehr Namenlosem
Bürgerrecht zu verschaffen. Wenige Seiten weiter fügte sie noch hinzu: Mir vermitteln dieses
Unbekannte hauptsächlich die Objekte daher bin ich bemüht dem Leser Objekte zu vermitteln.
Einen Geysir einen Ast das Bruchstück einer Skulptur eine Straßenbahn die Kriegserlebnisse
mitreißen können (der Krieg: Grunderfahrung meiner Generation) oder das Erlebnis der Natur (das
Zusammenleben mit der Natur ist eine der bedrohten Nostalgien des heutigen Menschen) eventuell
den Mythos eines ägyptischen Pharaonen (der moderne Mythos ist ein Modell unseres
Lebensgefühls). In der Tat erscheinen in ihren Gedichten die biographischen Elemente durch
mehrfache poetische Filter entfremdet. Wenn ich ihren Platz von ihrer Generation abstrahierend
aufgrund ihrer poetischen Auffassung suche so würden sie dem Kreis der Erschaffenden von
sogenannter objektiver Poesie zugehören. Sie selbst meinte es auch so. Die objekt