Dietfried Zink - poetische Bilanz der vorletzten StundeIm Spätherbst seines Lebens neigt man
dazu Bilanz zu ziehen. Dazu drängt es einen insbesondere dann wenn man nach einem aktiven und
rechtschaffenen Leben auf der Habenseite beträchtliche Posten zusammenzählen kann die ein
überzeugendes Gesamtbild ergeben. Eine solche Bilanzierung der vorletzten Stunde liegt in
diesem Bändchen in Form von Gedichtenvor.Mir will scheinen dass Dietfried Zink ein
exemplarischer Fall für ein siebenbürgisches Dichterdasein im ausgehenden 20. Jahrhundert
darstellt. Auf der engen deutschen Sprachinsel Rumäniens war Dichten ein Befreiungsakt - sowohl
künstlerisch als auch gesellschaftlich. Man konstituierte durch Schreiben seine Identität. Der
Identitätsanker waren die deutsche Sprache und die alten wie neuen Regeln der literarischen
Formgebung in dieser Sprache. Es ist geradezu paradigmatisch dass Dietfried Zink Germanistik
studierte und Deutschlehrer wurde. Das war für ihn und viele andere der Königsweg zum
literarischen Schaffen. Nicht alle Deutschlehrer waren Dichter aber die meisten Dichter waren
Deutschlehrer. Nirgendwo war man besser in einer sicheren Heimat aufgehoben als eben in der
Sprachheimat. Sie war damals unser aller rettender Hafen und unser Pfund mit dem wir frei
wuchern konnten. Sie stellte ein Investivkapital dar das uns von der gesamten Umwelt abhob und
unterscheiden half. Diese kulturelle Sprachzugehörigkeit transzendierte unser
unfrei-eingepferchtes Leben aus der realen Existenzverortung an der Peripherie Europas in den
mitteleuropäischen deutschen Sprach- und Kulturraum und verlieh unserer Existenz ungeahnt weite
Horizon-te.Hierzulande ist Dichtung eine freie künstlerische Disziplin der
sprachlich-ästhetischen Selbstfindung und Weltaneignung. Seinerzeit in Siebenbürgen war es
das auch aber es war gleichzeitig auch deutlich mehr: Es war Selbstbehauptung manchmal sogar
Auflehnung und Subversion. Wer beispielsweise über Natur schrieb der machtesich bei den
Mächtigen unbeliebt denn er gab deutlich zu erkennen dass er nicht gewillt war die Klaviatur
des sozialistischen Realismus des Totschlägers jeglicher Kunst zu bedienen. Und das konnte
zeitweilig sehr ernste Konsequenzen haben. Die vorliegende Lyriksammlung enthält eine
Zusammenstellung von Gedichten aus allen Schaffensperioden. Der Titel des Bandes ist eine
metaphorisch-programmatische Überhöhung des Inhalts und stammt aus einem der Gedichte: Der
leise Suchton des kreisenden Vogels. (Du S. 84) Die schmale Auswahl umfasst wohl um die sechs
Jahrzehnte poetischer Artikulationsversuche. Achtzig Gedichte Leben in Jahren und Wort
Langsam fließt der Fluss - so das Motto des Gedichtbandes von Dagmar Dusil. Es ist die
Zusammenfassung dessen was Dietfried Zink eigentlich ausmacht: beharrliches Anschreiben gegen
die Vergänglich-keit!Dietfried Zink ist wie die meisten Aussiedler zweiheimisch (Hellmut
Seiler): Ein Teil der Gedichte sind also in der ersten Heimat Siebenbürgen entstanden ein
anderer Teil wurde nach 1985 in der zweiten Heimat Deutschland zu Papier gebracht. Es läge nahe
in den Gedichten Spuren der unterschiedlichen Zeitläufe zu finden sozio-historische
Bedingtheiten zu entschlüsseln und Regionaltypisches wenn auch nur als Spurenelement zu
finden. Von all dem ist kaum etwas zu entdecken. Das zeigt mehr als deutlich dass das stetig
umkreiste lyrische Ich zeitlos und ahistorisch konzipiert ist. Es ist ein existenzialistisches
Ich das Lebenssinn und existenzielle Überhöhung ausschließlich in - ich bin versucht zu sagen:
klösterlichen - Poetikexerzizien anstatt in konkreter Erdung findet. Jean Paul Sartre bringt in
Les mots diese Verschränkung von Leben und Dichtung - in einer ähnlichen sinnstiftenden Syntax
wie das berühmte Diktum Descartes cogito ergo sum - auf den Punkt: Indem ich schrieb
existierte ich. Dietfried Zink fühlt sich zu Sartre einem der Lehrmeister der 1960er Jahre
hingezogen und bekennt sich zu ihm wie sein