Nicht nur die Parteien drängt es fast geschlossen in die Mitte. Der sozial und politisch
gemeinte Begriff boomt auch in der öffentlichen Diskussion über den Zustand der deutschen
Gesellschaft. Selbst der nahezu verschwundene Mittelstand wird nach wie vor beschworen. Er sei
schreibt der Satiriker Richard Schuberth die Gesellschaftsschicht der seit es sie nicht mehr
gibt alle anzugehören glauben. Trotz der wachsenden sozialen Spaltung ist fast nirgends mehr
von einer Klassengesellschaft die Rede. Kadritzkes Essay handelt von diesem Denken jenseits von
Klassen er nimmt in historischer Perspektive die Gegenwart in den Blick. Der Autor erinnert an
wichtige Studien zum neuen Mittelstand aus der Weimarer Republik - etwa von Siegfried Kracauer
- und zeigt ihren aktuellen Erkenntnisertrag der sich einer produktiven Auseinandersetzung mit
der marxschen Theorie verdankt: Sie begreifen die Angestellten die heute in einer konturlosen
Mitte verortet werden als verdeckte Fraktion der Klasse der Lohnabhängigen. Sie deuten deren
mittelständische Sehnsüchte aus der politischen Ökonomie ihrer Zeit den Angeboten oder auch
nur Versprechen betrieblicher Machtteilhabe - und auch als Antwort auf die Krisen die der
Kapitalismus mit innerer Notwendigkeit hervortreibt. Die Weimarer Analysen erweisen sich als
verblüffend aktuell. Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist von einer Mitte-Erzählung geprägt
die vom Vergessen der Klassen lebt. Das zeigt sich auch im aktuellen Diskurs über das nicht
mehr zu leugnende Ausmaß sozialer Ungleichheit. An aktuell gängigen Sichtweisen und Begriffen
legt der Autor dar wovon wir schweigen wenn wir heute von der Mitte reden. Die
Trivialbeschwörung der Menschen die das Land in Gang halten bestimmt die herrschende
Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Vom Trugbild einer breiten Mitte jenseits der
Klassen aber profitieren die wahren Eliten so lange wie ihnen auf dem Feld der Begriffspolitik
die Ungleichheits-Forscher und die öffentlichen Themensalons zur Hand gehen.