Was zeichnet Medienakteure mit DDR-Sozialisation aus? Wählen sie andere Themen andere Begriffe
andere Ausdrucksmittel oder gibt es keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West? Und wenn
doch: Sollten wir sie dann nicht zu überwinden versuchen anstatt dem Ost-Blick auf den Grund
zu gehen? Die Befunde des Projekts Medienmenschen aus dem Forschungsverbund Das mediale Erbe
der DDR lassen den Schluss zu dass es an der Zeit ist den Ost-Medienmenschen zuzuhören. Ihre
Biografien ihre Erfahrungen ihre Perspektiven können einen wichtigen Beitrag leisten um die
Ursachen für schwindendes Medien- und Demokratievertrauen zu verstehen. Denn mehr als 30 Jahre
nach dem Mauerfall haben sich durch den größeren zeitlichen Abstand und innenpolitische
Entwicklungen - nicht zuletzt die Wahlerfolge der AfD in Ostdeutschland - die Diskursräume
geöffnet. Persönliche DDR-Erfahrungen können nun differenzierter in die eigene Erzählung
eingebettet und interpretiert werden - auch mit einer positivenKonnotation etwa wenn es um
Kindheitserlebnisse das Bildungs- oder das Sozialsystem geht. In der Auseinandersetzung mit
der Corona-Thematik zeigte sich deutlich: Die befragten Medienmenschen bewerten die
Einschränkungen durch die Pandemie-Maßnahmen in vielen Fällen vor dem Hintergrund ihrer
Erfahrungen mit Meinungslenkung und Freiheitsentzug während der DDR-Zeit.Ausgangspunkt der
empirischen Untersuchung ist ein denkbar weiter Medienbegriff der den klassischen Journalismus
genauso einschließt wie Buch Film Musik Fotografie oder Theater und Kleinkunst. Die
Materialbasis umfasst biografische Interviews und Werkanalysen. Für das Buch wurden 20
besonders interessante Gespräche ausgewählt und durch zusätzliches Material so kontextualisiert
dass eine Gesamtschau möglich wird. Das wichtigste Ergebnis: Die DDR-Vergangenheit bricht die
professionelle Ebene. Ostdeutsche Autoren Musiker oder Kabarettisten haben einen anderen Blick
auf die Gegenwart als ihre westdeutschen Kollegen. Dabei wirken Diktatur- und
Transformationserfahrung wie ein Brennglas: Die meisten Interviewten sind sich der
wirklichkeitsbildenden Rolle von Medienangeboten bewusst und plädieren für einen offenen
Diskurs ohne Meinungskorridore. Lange Zeit war der Stellenwert ost-sozialisierter
Medienmenschen im erinnerungskulturellen Diskurs gering. Spätestens jetzt ist es an der Zeit
sie ernst zu nehmen.