Während in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern alle Menschen jüdischer Herkunft
deportiert und ermordet wurden gleichgültig ob sie getauft waren oder in einer Mischehe
lebten hatten in Deutschland die in einer Mischehe lebenden Juden und ihre christlich
erzogenen Kinder unter glücklichen Umständen eine gewisse Chance zu überleben weil die Nazis
ihre Vernichtung erst für einen späteren Zeitpunkt geplant hatten. Der Schutz währte allerdings
nur solange der arische Ehepartner dem Druck der Diskriminierung standhielt und bei seiner
Familie blieb. Der Phänomenologe Edmund Husserl (1859-1938) hatte in seiner aktiven Zeit in
Freiburg i.Br. drei Assistenten: Edith Stein (1891-1942 Auschwitz) Martin Heidegger
(1889-1976) und Ludwig Landgrebe (1902-1991). Dessen Sohn Detlev Landgrebe hat nun die
Geschichte seiner jüdisch-christlichen Familie von 1784-1956 aufgeschrieben: "Kückallee 37.
Eine Kindheit am Rande des Holocaust". Exemplarisch wird hier aufgezeigt wie Ludwig Landgrebe
mit seiner jüdischen aber evangelisch getauften Frau Ilse geb. Goldschmidt vor den Nazis
nach Prag und dann nach Löwen flieht. Aber überall sind auch bald die Deutschen so daß er sich
mit seiner Familie nach Reinbek bei Hamburg in das schwiegerelterliche Haus zurückzieht. Dort
leben die Familien Dr. jur. Arthur Goldschmidt (1879-1947) und Dr. phil. Ludwig Landgrebe in
Angst und Schrecken und leiden unter dem subtilen zunehmenden Terror der Nazis. 1942 wird der
"jüdische" Schwiegervater Arthur Goldschmidt nach Theresienstadt deportiert wo der Jurist die
evangelische Gemeinde Theresienstadt gründet und bis zur Befreiung im Mai 1945 als "Pfarrer"
leitet. Als der glücklich Überlebende 1945 zurück nach Reinbek kommt schreibt er die
"Geschichte der evangelischen Gemeinde Theresienstadt 1942-1945" die nach seinem Tod (im
Februar 1947) 1948 als kleines längst vergriffenes Heft erscheint. In einem umfänglichen
Anhang finden sich nicht nur präzise Genealogien. Der Herausgeber Thomas Hübner hat mit einem
ausführlichen Anmerkungsteil (Archiv- Lit.- und weitere Verzeichnisse) zusätzlich ein Register
erstellt in welchem sich der gesamte Inhalt des Buches in Stichworten historisch nach dem
geschichtlichen Datum geordnet mit Seitenverweisen zusammengefaßt findet. Neben einem
gesonderten Beitrag zu dem österreichischen Schriftsteller Erich Landgrebe (1908-1979) hat
Hübner den Band abschließend mit einer Neuauflage der "Geschichte der evangelischen Gemeinde
Theresienstadt 1942-1945" versehen welche mit Anmerkungen und Registern ausgestattet nach 60
Jahren wieder zugänglich gemacht wird. Die ergreifend geschriebene Familiengeschichte gibt
nicht nur Auskunft über den Philosophen Prof. Dr. Ludwig Landgrebe sie geriet Detlev Landgrebe
auch zu einer exemplarischen christlich-jüdischen Geistesgeschichte.