In der Kritik der Willenskraft hat Rudolf Goldscheid (1870-1931) die Grundlagen seiner
anthropozentrischen Systemtheorie der sozialkulturellen Evolution (Mikl-Horke 2007) entwickelt.
Im Gegensatz zum heutigen Mainstream konzipierte er sie bewusst als politische Soziologie
(Gesellschaft aktiv gestalten) als voluntaristisch (ohne Wollen kein Handeln) evolutionär
(eine Soziologie des Werdens) und normativ wertend (Max Webers Wertfreiheitspostulat hielt er
für absurd) weil Soziales durch Soziales allein (das war gegen Emile Durkheim gerichtet) nicht
zu erklären sei empfand er eine Soziologie ohne Rückbezug auf Biologie Ökonomie und
Psychologie für ein Unding. Die Sozialwissenschaften insbesondere die Soziologie bildeten für
ihn darin vergleichbar den Technikwissenschaften die Brücke zwischen den Geistes- und
Naturwissenschaften weil sie gleichermaßen über instrumentelle und reflexive Kompetenzen
verfügen.Um seinem gesellschaftspolitischen Anspruch gerecht zu werden musste Goldscheid im
Unterschied zu Ferdinand Tönnies seine Soziologie zwangsläufig als Einheit von Erkenntnis-
Wert- und Willenstheorie konzipieren. Verantwortlich in ihrem Sinn handelt wer sein Handeln
nach Zweck Mittel und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke wie
die Zwecke gegen die Nebenfolgen wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke
gegeneinander rational abwägt (Max Weber 1922). Die Fragen die in diesem Rahmen einer Antwort
bedürfen lauten: Was wollen wir? Was können wir? Was dürfen wir?