In dieser Gedichtsammlung des 1998 laureierten lateinischen Dichters Thomas Lindner findet sich
bereits früher publizierte Lyrik in überarbeiteter Form aber auch noch nicht veröffentlichtes
Material besonderes Augenmerk wurde auf die elisionsfreie Metrik der lateinischen Verse
gelegt. Von literarischem und rezeptionsgeschichtlichem Interesse sui generis sind die
Kleinepen in frühneuenglischer Sprache sowie die beiden Centos (Flickengedichte aus originalen
und modifizierten Quellentexten). Mit der auf einige hundert griechische Hexameter
eingedampften Kleinen Odyssee die bewusst auf etliche Handlungsstränge wie auch auf die
archaischen Grausamkeiten der Vorlage verzichtet lässt sich Homers Odyssee in einem Zug
genießen. Mit seiner Didois liefert der Autor einen kontrafaktischen Entwurf zur Aeneis in dem
sich die Liebesbeziehung zwischen Dido und Aeneas erfüllt und die Gründung des Imperium Romanum
an ein anderes für das Liebespaar irrelevantes Paralleluniversum delegiert wird. Dieses
radikale Spiel mit literarischer Tradition ist indes mehr als nur ein philologisches Kuriosum
geht es doch letztlich um die Verwirklichung des Individuums aus einem modernen Blickwinkel im
Gegensatz zur Staats- und Schicksalsdoktrin der römischen Antike.