Im Kielwasser der Nova-Regio-Bewegung schlagen gegenwärtig gastronomische Konzepte bezüglich
ihrer Ausgangsprodukte und Rohstoffe immer engere Kreise. Lokal ist das neue Regional. Davon
geht eine erhebliche Faszination aus. Nicht zuletzt die Wertschätzung des eigenen Lebensumfelds
lassen alle Anstrengungen mehr als lohnenswert erscheinen sich das notwendige Wissen für eine
vor-Ort-Ernährung anzueignen.Die Grenze eines solchen Konzepts liegt nicht nur in den
Mitteleuropa klimatisch charakterisierenden jahreszeitlichen Beschränkungen. Faszinierende
Gewürze Pflanzen und Früchte kamen über Jahrhunderte aus anderen Erd- teilen zu uns. Zahllose
Produkte haben wir - häufig über skurrile Missverständnisse und abstruse Wirrungen erst
Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte nach ihrem erstmaligen Import erfolgreich in unsere
Esskultur integriert. Heute scheinen sie uns selbstverständlich wie die heimischen Früchte und
Pflanzen als wären sie schon immer Teil einer als ursprünglich empfundenen Lebenswelt.Doch was
heißt: schon immer? Das Trügerische einer solchen Vorstellung wird offensichtlich in einer
Episode aus der eigenen Familienerzählung: Mein Großvater mütterlicherseits sah (noch vor dem
Ersten Weltkrieg) auf dem Rückweg von seiner Lehrstelle in der Auslage eines Obsthändlers
wunderbare einmalig leuchtendrote perfekt auf Hochglanz polierte Äpfel. Er widerstand der
Verlockung nicht. Trotz schmaler Börse erwarb er eine jener unwirklich perfekten Früchte. Seine
grenzenlose wortwörtliche Enttäuschung im Moment des Genusses ist verständlich und
nachvollziehbar biss er doch voller Wonne nicht in einen knackigen Apfel sondern - in eine
Tomate.Die Perspektive ließe sich auch in das Ursprungsland einer auf der ganzen Welt
außerordentlich beliebten Frucht wenden: Ein Olmeke oder Maya wäre wohl ebenso wenn auch
vermutlich nicht negativ verwundert würde ihm jetzt (oder auch vor einhundert Jahren schon)
ein Stück Schokolade angeboten. Es langsam im Munde schmelzen zu lassen wie es
Schokoladenkultur-Geübten heute selbstverständlich ist käme ihm kaum in den Sinn. Er nahm die
Früchte des Kakaobaumes ausschließlich um sie zu Getränken zu verarbeiten.Aus der ess- und
genusskulturellen Weltgeschichte ließen sich - durchaus unterhaltsam - aberhunderte Beispiele
anführen. Besonders ergiebig ist besagter Kakao: Zu den etablierten auch qualitativ
herausragenden Großherstellern drängen in den letzten Jahren eine Vielzahl kleiner und
kleinster Hersteller auf den Markt. Das mit ihnen sich differenzierende weite Spektrum
spiegelt nahezu alle Facetten der aktuellen Esskultur. Während die Ptissiers und Chocolatiers
sich meist auf die technischen Qualitäten und geschmacklichen Vorzüge von Kuvertüren
fokussieren haben Bean-to-Bar-Erzeuger tiefer greifende Ansätze heruntergebrochen über Länder
und Sorten über Regionen bis in die einzelne Kakao-Lage. Einige beziehen neben dem ökologisch
überlegten Anbau auch die sozialen Bedingungen der Bauern und Sammler vor Ort aktiv in ihr
Schokoladen-Konzept mit ein. Selbst Vertreter der Raw-Bewegung finden ihre Nische.Das Journal
Culinaire hat das ehrgeizige Ziel seine Themen umfassend und perspektivenreich zu
präsentieren. Wie so oft gibt es natürlich immer noch mehr zu sagen und zu erfahren. Aber
dieses Mal sind für den Rundumblick in der Welt des Kakaos unsere 156 Seiten einfach zu knapp.
Deshalb wird die kommende Ausgabe den Titel tragen: Noch einmal Kakao.