Die Arbeit an diesem Heft begann noch in einer anderen Epoche. Daraus ergab sich die lange
und wiederholte inhaltliche und redaktionelle Überarbeitung begleitet von einem anhaltenden
Zweifel ob das angedachte Heft heute überhaupt noch möglich ist. Europa muss derzeit wieder
aktiv verteidigt werden. '¿Für sein Vaterland und für Europa sterben¿ ist ein Satz' so Milan
Kundera 1983 'der weder in Moskau noch in Leningrad gedacht werden könnte aber eben in
Budapest oder in Warschau.' Was Europa und was die Moderne ausmacht steht aktuell zur
Disposition und zwingt uns zur Selbstreflexion. Zwischen den vielen Narben die diesen
Kontinent und seine Geschichte prägen ist mittendurch ein gewaltsamer Riss gezogen worden.
Es ist ein Anliegen dieser Ausgabe darauf hinzuweisen dass die Architektur der Moderne ¿im
Osten¿ (oder die Moderne Architektur der DDR) nicht auf die industrielle staatliche
Bauproduktion reduziert werden kann. Genauso wenig würde man die Architektur Westdeutschlands
auf den Siedlungsbau der Neuen Heimat gGmbH reduzieren. Die Suche nach Bauwerken der Moderne
die nicht mit dem Label ¿sozialistisch¿ zu verbinden sein werden da staatsfern oder doch
weitgehend unabhängig von politischen Motiven und Implikationen erschaffen hatte allerdings
einen anderen Ausgangspunkt: Die ehemalige Gedenkstätte der Kommunistischen Partei Bulgariens)
auch bekannt als Buzludzha Monument stellt den prototypischen Fall eines ungeliebten
schwierigen ¿unbequemen Denkmals¿ dar. Architektonisch durchaus vergleichbare Denkmäler prägen
auch die Landschaften des ehemaligen Jugoslawiens. Sie stehen stellvertretend auch für die
sowjetischen Kriegsdenkmäler und die aktuellen Diskussionen um deren Erhaltung. Aber ist das
Erbe der Moderne des 20. Jahrhunderts nicht grundsätzlich unbequem und umstritten? Es geht in
diesem Heft letztlich um den Streitwert der Baudenkmäler des 20. Jahrhunderts. Gabi
Dolff-Bohnekämper hatte diesen Begriff mit Blick auf die stadtplanerischen und
denkmalpflegerischen Debatten in Berlin nach 1990 geprägt als beide Stadthälften ihren
politischen Referenzrahmen verloren hatten. Allerdings ist das bauliche Erbe des letzten
Jahrhunderts im Westen weniger - oder in anderer Art und Weise - umstritten als jenes im Osten.
Taugen aber diese geographischen Koordinaten überhaupt? Überreste sozialistischer Architektur-
und Bauproduktion finden sich heute am Moldauhafen (Vltavský p¿ístav) in Hamburg oder auf dem
Hof eines Steinmetzbetriebs in Gundelfingen an der Donau in Bayern. Ebenso geht dieses Heft der
Entstehung und Umnutzung des ehemaligen jugoslawischen Pavillons auf der Brüsseler Expo 1958
nach. Das sozialistische Schaustück wurde als katholische Jungenschule ein Baudenkmal der
Moderne in Flandern. Bauwerke aus sozialistischer Produktion finden sich auch im
nicht-sozialistischen Globalen Süden und umgekehrt trifft man kapitalistische Bauprodukte in
den Prestigeprojekten der ehemaligen sozialistischen Staaten auch in Buzludzha. Das letztlich
alle diese baulichen Hinterlassenschaften - in all ihren Widersprüchen und Differenzen -
Ausprägungen und Erzeugnisse der globalen und vernetzten Modernisierungsprozesse des 20.
Jahrhunderts sind war von Anfang an die Arbeitshypothese für dieses Heft und die Intention
dieses Erbe differenziert und unabhängig von geographischen Koordinaten in den Blick zu nehmen.
Dieses Heft umschreibt eine Leerstelle die wundersame Welt im Herzen Europas. Das Erbe der
Modernisierung Mitteleuropas in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wird nicht mehr
unter dem Label ¿sozialistisch¿ oder gar ¿sowjetisch¿ zu finden sein. Es ist ein europäisches
Erbe. Noch ist es nicht verloren.