Die "Legende vom Großinquisitor" ist das wohl berühmteste Kapitel aus dem Roman "Die Brüder
Karamasow" von Fjodor M. Dostojewski worin der wiederauferstandene Messias zur Zeit der
Gewaltherrschaft der spanischen Inquisition wieder auf Erden erschienen ist und vom
Großinquisitor sofort verhaftet wird um als "Ketzer" verbrannt zu werden. Dieser
faszinierende Text ist im vergangenen Jahrhundert schon mehrfach in eigenständigen
illustrierten Ausgaben erschienen bezeichnenderweise fast ausschließlich kurz nach den beiden
Weltkriegen also in Zeiten des Umbruchs und Neuanfangs. Auch gegenwärtig ist wieder von einer
"Zeitenwende" die Rede und wir lesen Dostojewskis Erzählung die in der Inquisitionszeit des
15. Jahrhunderts spielt mit ganz neuem Verständnis und stellen mit Staunen fest wie modern
und aktuell dieser Text gerade heute wieder ist. Wie kann es nur sein so fragen wir uns
verwundert dass in Teilen der Welt immer wieder Autokraten und Diktatoren an die Macht
gekommen sind (nicht selten sogar durch freie Wahlen) denen die Massen trotz der
offensichtlichen Lügen ihrer Herrscher zujubeln? Ist denn die von uns so hoch geschätzte
"Freiheit" kein so hohes Gut das man um jeden Preis verteidigen müsste? Dostojewskis
Großinquisitor gibt die zynische Antwort: "Nichts ist für den Menschen so verführerisch wie die
Freiheit seines Gewissens aber es gibt auch nichts was ihn mehr plagt." Und an anderer Stelle
heißt es über das Volk: "Wir werden sie davon überzeugen dass sie nur dann ihre Freiheit
erlangen wenn sie auf ihre Freiheit zu unseren Gunsten verzichten und sich uns anheimgeben ...
Sie werden ängstlich werden sie werden an uns hängen und sich bange an uns drängen wie Küken
an die Glucke. Sie werden uns bewundern und fürchten und auf uns stolz sein weil wir so
mächtig und so klug sind dass wir eine versprengte ungebändigte Herde von tausend Millionen
Köpfen bändigen können." Dostojewskis Parabel knüpft an den Satz Rousseaus an: "Der Mensch ist
frei geboren doch findet er sich immer in Ketten wieder" - unter diesem Vorzeichen hat Rainer
Ehrt die Erzählung mit seinen doppelbödigen und unverwechselbar ironischen Federzeichnungen
illustriert mit Bildmetaphern und detailreichen doppelseitigen Tableaus vielleicht auch als
Anregung für jüngere Leser einen Zugang zu diesem beim ersten Lesen vielleicht etwas sperrigen
Text zu finden.