Die nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen an pflegebedürftigen Menschen waren der erste
industrielle Massenmord der Geschichte. In Wissenschaft und Gesellschaft spielten sie dennoch
lange kaum eine Rolle. Das nun vorliegende Buch ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts das
erstmals die Verbrechen im Kontext der Stadt Mannheim aufarbeitet.Im Mittelpunkt der
Lokalstudie steht die Beziehung von über eintausend aufgrund ihrer psychischen Erkrankung oder
Behinderung ermordeten Mannheimer*innen zu ihrer Heimatstadt. Sie charakterisiert anhand
empirischer Auswertungen von Personendaten die Ermordeten als Gruppe und stellt diesen Zahlen
ausführlich recherchierte individuelle Lebensgeschichtengegenüber. Ein besonderes Augenmerk
liegt auf der Situation der Angehörigen der Opfer als wichtigstem Bindeglied zwischen Heimat
und Hospital. Aus Interviews mit Nachfahr*innen geht hervor wie häufig Familien die Krankheit
und Ermordung eines Mitglieds tabuisierten und verheimlichten. Darüber hinaus beleuchtet die
Studie erstmals die Rolle einer Großstadt im System der Euthanasie und deckt auf dass die
Stadt Mannheim zwar kein Tatort aber als politische Institution durchaus Mittäterin war indem
sie mit dem NS-Regime bei der sogenannten Reinigung des Volkskörpers kollaborierte.Die Opfer
der Euthanasie waren einem dreifachen Verdrängungsprozess unterworfen der bereits vor 1933
einsetzte und 1945 nicht zu Ende war: gesellschaftliche Verdrängung aus dem öffentlichen Leben
räumliche Verdrängung in immer voller belegte Sparanstalten bis hin zur Ermordung und
schließlich posthume Verdrängung aus der kollektiven Erinnerung.Mit 36 farbigen Abbildungen
zeichnet der Band die Geschichte behinderter und psychisch kranker Menschen vor während und
nach der NS-Zeit in Mannheim nach und wirft die Frage nach einer würdigen und zeitgemäßen
Erinnerungskultur für Mannheims verdrängte Opfer für die Zukunft auf.Das vorliegende Buch ist
die überarbeitete Fassung der Dissertation von Lea Oberländer die im Sommer 2020 an der
Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim angenommen wurde. Sie wurde mit dem
Franz-Schnabel-Preis des Mannheimer Altertumsvereins von 1859 ausgezeichnet.