Warum gab es keine bedeutenden Kunsthistorikerinnen? Jo Ziebritzki geht dieser Frage nach um
die misogynen und patriarchalen Strukturen der Kunstgeschichte zu verstehen. Sie widmet sich
dem Werk der Kunsthistorikerin Stella Kramrisch (1896-1993) und geht der irritierenden Kluft
zwischen Kramrischs damals gefragter Expertise und dem heutigen Fehlen ihres Werks in der
Kunstgeschichtsschreibung auf den Grund. Als Expertin für indische Kunst schrieb Kramrisch
gegen koloniale Abwertungsstrategien an. Die Argumente zur Anerkennung des eigenständigen
künstlerischen und ästhetischen Wertes indischer Tempelplastiken und Malereien entfaltet sie in
Publikationen und vielbesuchten Ausstellungen in Zusammenarbeit mit diskursprägenden
Institutionen in Indien und im Europa der 1920er bis 1940er wie etwa dem Wiener Institut für
Geschichte Springers Handbuch Kunstgeschichte der Reformbewegung und dem Warburg Institut.
Warum wissen wir nichts von dieser Tänzerin zwischen Kulturen der scharfen Beobachterin und
poetisch präzisen Autorin? Die Gründe des Vergessens zu verstehen und zugleich die Erschließung
ihrer Werke Methoden und Kunstbegriffe voranzubringen dient der Depatriarchalisierung der
Kunstgeschichtsschreibung und ihrer polyperspektivischen Erweiterung.