Die bulgarische Literatur ist im Ausland noch immer weitgehend eine Terra Incognita umso
notwendiger und verlockender der Blick auf einen ihrer schillerndsten Vertreter: Aleksandar
Vutimski wäre längst als einer der bedeutenden europäischen Dichter der Moderne bekannt wenn
er nicht auf Bulgarisch geschrieben hätte. Doch selbst in einer Heimat stand seinem Ruhm etwas
entgegen. Er wagte wie anderswo seine berühmten Zeitgenossen Lorca und Kavafis einzufordern
und einzulösen daß über homosexuelle Liebe zu schrieben sei und zog hierfür alle lyrischen
Register. Auch politisch nahm er es in Kauf Anstoß zu erregen: so im Gedicht »Raubtier Europa«
in dem er sich gegen Hitler stellt - »Ein Führer furchtbar häßlich und fanatisch schmiert
breit sein Hakenkreuz von Pol zu Pol ...«- doch ebenso die Flugblattparolen seiner linken
Dichterfreunde schmäht. Im Leben und im Schreiben bewegte sich Vutimski in der großen
europäischen Tradition der poètes maudits zu seinen Lebzeiten nie als Buch erschienen lese
sich manche seiner Texte wie ein bulgarisches Pendant zu Rimbaud Vian und Cocteau. Sein Werk
erscheint dabei als eine authentische Autopsychographie: Während Vutimski für die Welt um sich
kunstvolle Metaphern findet spiegelt das Werk seine persönliche Lage in exzessiver Offenheit.
In seinem Essay ist der Übersetzer und Herausgeber Andreas Tretner diesem bewegten
Spannungsverhältnis auf der Spur.