Der Mensch kennt die Zukunft genauso wenig wie den Blick ums Häusereck.Man muss sich
entschließen los zu gehen.[In der Altstadt von Marrakesch.]GEDANKEN UND SPRACHBILDER(...)
Schon als Volksschüler habe ich oft und gerne fotografiert. Neben dem Vorgang des Knipsens war
das Entwickeln der Bilder in der Dunkelkammer des Vaters für mich ein besonderes Erlebnis: Aus
dem Nichts erschienen wie von Geisterhand geführt zuerst verschwommene Konturen auf dem
Fotopapier. Allmählich verdichteten sie sich zu einem Abbild dessen was ich vor der Linse
gehabt hatte.Im Staunen über das Wundersame dieses Vorgangs schien es mir nicht so wichtig
dass damals - in den 1950er Jahren - noch die Farben fehlten. Störender fiel auf dass meine
Fotos oft unscharf waren. Die ersten Kameras mit Autofokus sollten erst zwanzig Jahre später
auf den Markt kommen. Nach dem Studium bemerkte ich während einer Bergwanderung wie stark das
Fotografieren die eigene Wahrnehmung verändern kann: Man lässt eine Landschaft nicht mehr
einfach auf sich wirken sondern überlegt welcher Ausschnitt am besten erscheint ob man auf
den Vordergrund oder den Hintergrund scharf stellen soll. Ein ungestörter Genuss der Landschaft
schien mir nicht mehr möglich zu sein. Dafür war natürlich nicht die Kamera verantwortlich.
Also beschloss ich kurzerhand mit dem Fotografieren aufzuhören: Eine mit allen Sinnen
aufgenommene Erinnerung ist wichtiger als eine technisch erzeugte Konserve auf Zelluloid oder
Papier sagte ich mir.Fast zwanzig Jahre nach dieser Zäsur verglich ich die Erinnerungen aus
meiner bilderlosen Lebensphase mit alten Fotos aus der Zeit davor: Die letzteren holten für
mich zahlreiche Erlebnisse ins Bewusstsein vieles kam mir wieder in den Sinn das gar nicht
auf dem Bild zu sehen war. Meine fotofreie Lebenszeit hingegen ist eher leer und blass.Dieser
Vergleich löste eine neuerliche Kehrtwende aus: Ich kaufte einen modernen Fotoapparat. Als
hilfreich erwies sich für den Neustart dass viele Kameras mittlerweile über einen brauchbaren
Autofokus verfügten sodass meine Bilder weniger oft unscharf sind als damals in der Kindheit.
In der Tat ist das Fotografieren so komfortabel geworden dass man heute beide Welten vereinen
kann: Das nach außen gewandte Foto schießen und das Auf-sich-wirken-Lassen eines schönen
Anblicks.Die zuletzt genannte innere Einstellung lässt mich seit Jahren über Gedankengänge
sinnieren die zu einem Bildsujet passen die es erklären neu deuten oder gedanklich
weiterentwickeln. Manches Mal entstehen beim Betrachten eines Bildes neue Wortsplitter
manchmal ist mir zuerst ein Sager oder ein Vers eingefallen dem noch das passende Bild fehlt.
Ein gezieltes Suchen ist dabei meist hinderlich. Das Entstehen ähnelt eher dem Improvisieren:
Der Musiker spielt nicht sondern es spielt.Bei solchem Spielen passieren Patzer. Daher sind
nicht wenige Texte der selbst auferlegten Zensur zum Opfer gefallen etwa wenn Einfälle ausdem
Dämmerschlaf der vergangenen Nacht nach wacher Prüfung zu bissig zu derb und einfach nur
schlecht erschienen. Verblieben sind rund tausend Sprüche Aphorismen Gedichte und
Sprachbilder. Ihr breites Spektrum an Inhalten und Sichtweisen gleicht einem Kaleidoskop. Bunt
vielfältig und widersprüchlich. So wie wir es sind und die Welt wie wir sie wahrnehmen!
(...)(Stefan M. Gergely)