In Deutschland entweder als Albtraum der Germanisten bespöttelt oder gar als Verrat an Goethe
verachtet hatte Faust von Charles Gounod (1819-1863) hier gleich zu Beginn mit dem Vorurteil zu
kämpfen dass die Oper Goethes Ideendrama über die Frage was die Welt im Innersten
zusammenhält zu Gunsten einer tragisch endenden Liebesgeschichte verwässere. Dabei diente das
Werk Gounod gar nicht als direkte Vorlage sondern vielmehr das Boulevard-Theaterstück Faust et
Marguerite eines gewissen Michel Carré. Würde man also in Deutschland vom Missverständnis
abkommen in Gounods Faust eine Literaturoper zu sehen dann könnte man endlich auch bei uns
eine der bedeutendsten und schönsten französischen Bühnenwerke des 19. Jahrhunderts genießen
unbeschwert von jeglichem bildungsbürgerlich verbrämten teutonischen Dünkel. Gerade weil sich
weltweit Gounods spätere Fassung mit Rezitativen durchgesetzt hat die 1869 für die Pariser
Opéra entstand entschied sich BRU ZANE bei seiner Einspielung für die bislang
unveröffentlichte Erstfassung von 1859 mit gesprochenen Dialogen statt Rezitativen. Für die
beiden Versionen sind vor allem theaterpraktische Gründe verantwortlich denn am Pariser
Thétre-Lyrique wurde eine theatralische Mischform propagiert die sich sowohl von der ernsten
grand opéra als auch von der leichten opéra comique abgrenzen wollte. Mit den gesprochenen
Dialogen erscheint die Rolle der alten Dame Marthe deutlich komischer und auch der Zynismus
Mephistos kommt hier mehr zum Tragen. Aber auch hinsichtlich der musikalischen Nummern gibt es
zum Teil erhebliche Unterschiede so dass die Einspielung mit Christophe Rousset und Les Talens
Lyrique nicht nur durch den Einsatz historischer Instrumente eine echte Bereicherung der
Diskografie im Gounod-Jahr 2019 darstellt. Darüber hinaus wartet die Produktion mit exzellenten
Sängern auf (u.a Véronique Gens und Benjamin Bernheim) die dem besonderen Charakter des Werks
Rechnung tragen.