In den Anfängen der Germanistik im frühen 19. Jahrhundert die zunächst fast nur eine
altgermanistische Philologie war gehörten Übersetzungen nicht zum Basisgeschäft ja sie waren
in den Gelehrtenkreisen eher verpönt. Entweder beherrschte man das Mittelhochdeutsche oder eben
nicht. Aber schon einige Jahrzehnte später mehren sich erste (Teil-)Übersetzungen
mittelhochdeutscher Klassiker darunter natürlich Walther von der Vogelweide. Die Leistungen
von Karl Simrock (1833ff.) und Friedrich Koch (1848) bilden den Anfang einer langen Reihe bis
in unsere Gegenwart. Besonders von Amateuren im Sinne nicht akademischer Liebhaber vergangener
Textkultur werden solche Transfers geschätzt während die Universitätsgermanistik schon bald
auf die immensen grundlegenden Probleme solcher Übertragungen aufmerksam macht und sich auch
theoretisch im Austausch mit der Übersetzungswissenschaft den Herausforderungen widmet. Die
Versuche den 'Nationallyriker' Walther sprachlich zu adaptieren sind kaum verlässlich zu
zählen. Warum also noch eine Übersetzung? Jede Übersetzung hat ihre Zeit und diese währt nicht
allzu lange. Aktuell gibt es zwei Übersetzungen (G. Schweikle H. Brunner) die modernen
Anforderungen was philologische Kompetenz und stilistische Ausgewogenheit angeht standhalten.
Ältere Übertragungen weisen z.T. veralteten Wortschatz auf oder wollen mehr 'Erneuerung' denn
Verständnisbrücke sein. Die neue Übersetzung von Thomas Bein ist allen anderen zunächst dadurch
überlegen dass sie sämtliche Texte übersetzt die in der mittelalterlichen Überlieferung mit
dem Namen Walther von der Vogelweide in Verbindung stehen. Basis ist die von Bein verantwortete
16. Auflage der Ausgabe Lachmann-Cormeau-Bein (2023). Die Übersetzung bezieht erstmals auch
verschiedene Lied- Ton-Fassungen sowie alle im Anhang befindlichen Texte ein (letztere werden
vielfach zum ersten Mal überhaupt übersetzt). Damit liegt der bislang umfangreichste und
vollständigste sprachliche Transfer 'des Walther' vor. Er ist bemüht einerseits philologisch
genau zu sein andererseits aber doch auch durch gewisse sprachliche und stilistische
Freiheiten den anzunehmenden 'Ton' der Texte zu treffen und in der Übersetzung zu vermitteln.
Ziel der Übersetzung ist es das literarisch mentalitäts- und kulturgeschichtlich
beeindruckende Werk für Studierende fachfremde und allgemein kulturell interessierte Menschen
zu öffnen und es am Leben zu erhalten. Wie jede Übersetzung ist auch diese ein gutes Stück weit
Interpretation. Es sei herzlich eingeladen sie mit der separat erschienenen Basis-Edition
kritisch zu vergleichen.