Sülmertor. Ein kleiner Vorstadtbahnhof im schäbigen Industriegebiet einer mittelgroßen Stadt in
Süddeutschland. Die kleine Bahnstation war nicht nur der Dreh- und Angelpunkt für die vielen
Fabrikarbeiter die hier jeden Morgen ein- aus- oder umstiegen sondern sie trennte auch den
ärmlichen Stadtteil den man im Volksmund Hawaii nannte von den übrigen bürgerlichen
Wohnvierteln der eigentlich recht wohlhabenden Stadt. Auf meinem Schulweg überquerte ich den
Bahnübergang der sich direkt neben dem kleinen Bahnhof befand. An einem winzigen Kiosk
bewunderte ich jeden Morgen die unzähligen bunten Illustrierten die dort um das Häuschen
ausgehängt waren. Vor einer kleinen Gaststätte saßen am Abend unter einem behaglich wirkenden
Efeudach die trinkfreudigen den Feierabend genießenden Fabrikarbeiter. Wenige Jahre nach
meiner Einschulung wurde der Bahnübergang durch eine weißgekachelte Unterführung ersetzt die
von einer kleinen parkähnlichen Anlage umgeben war. Hier trafen wir uns umunsere ersten
heimlichen Zigaretten zu rauchen und zerknitterte Aktfotos auszutauschen. Wiederum einige Zeit
später rauchten wir hier unsere ersten Joints oder knutschten mit unseren ersten Verehrerinnen.
Die 60er Jahre waren gerade zu Ende gegangen und wir hatten unsere erste Band gegründet. Unser
Proberaum war am Industrieplatz rund 300 Meter vom Sülmertor entfernt im Gemeindesaal der
Aukirche in der wir fast alle getauft den dazugehörenden Kindergarten besucht und konfirmiert
worden waren. Wir waren uns sicher die Welt zu erobern. Genauso sicher wie unsere uns
anhimmelnden Fans. Wir würden an unserem kleinen Bahnhof in den Zug steigen und die große
weite Welt erobern. Wer konnte uns schon aufhalten?