Avantgardekunst in der Provinz? Die Kunstgeschichte der klassischen Moderne in den großen
Metropolen wie Berlin München Dresden Hamburg usw. ist hinlänglich bekannt. Aber in der
Provinz? Gab es da überhaupt genug Künstler die sich an der internationalen Avantgardekunst
orientieren konnten? Hat die Kunstgeschichtsschreibung hier eine Entwicklung unterschätzt die
eher im Verborgenen blühte? Die Kunstgeschichte der Stadt Soest ist eine solche verborgene
Blüte. Der in Soest wirkende Maler Wilhelm Morgner der 1917 fiel wurde zunächst von seinen
Soester Mitbürgern als skurriler Außenseiter betrachtet mit dessen Kunst man nichts anfangen
konnte. Doch die Situation änderte sich grundlegend nach 1918. In diesem Jahr gab es in Soest
eine erste Ausstellung über den modernen Maler Franz Nölken. Weitere Ausstellungen mit Werken
von Wilhelm Morgner Eberhard Viegener Wilhelm Wulff und Arnold Topp sollten folgen. 1919
wurde Soest in einem Zeitungsartikel als Wiege neuer Kunst bezeichnet. Schriftsteller wie Will
Frieg und Theodor Däubler sprachen von einer neuen Soester Malerschule die an die
mittelalterliche Kunsttradition der Stadt anknüpfte. Und der Maler und Mentor Morgners Georg
Tappert machte diesen in Berlin bekannt und verfasste selbst eine Reihe von Aufsätzen um den
Ruf des früh verstorbenen Soester Künstlers zu festigen. 1925 tauchte die Bezeichnung
Jung-Soester Kunst auf ein Jahr später wird Soest als Kunststadt bezeichnet. Ein
Kunsthistoriker nannte Soest 1929 einen Brennpunkt wahrhaft schöpferischer Kräfte. 1923 und
dann vor allem ab 1929 fanden in Soest mehrere Ausstellungen statt die die Soester
Avantgardekünstler weit bekannt machten. Der Begriff das junge Soest war nun eng mit Soest als
Kunststadt verbunden. Daneben gab es eine Reihe von Einzel- und Gruppenausstellungen der
Soester Künstler in allen wichtigen Museen und Ausstellungen Deutschlands. Anfang der 1930er
Jahre begann die Stadt mit dem Ankauf des Nachlasses von Wilhelm Morgner der jetzt den
Kernbestand des gleichnamigen Kunstmuseums ausmacht. Der Ruf Soests als Kunststadt schien
gefestigt bis nach 1933 die nationalsozialistische Kunstdiktatur der jungen Avantgardekunst
den Garaus machte. Zwei Ausstellungen im Museum Wilhelm Morgner in Soest erinnern an diese Zeit
als Soest zur Kunststadt wurde. Die erste fand 2017 zum 100. Todestag von Wilhelm Morgner statt
und zeigte ihn inmitten seiner unmittelbaren Künstlerfreunde. Die zweite Ausstellung 2021
erweitert die Namensliste der damals gezeigten Künstler und wird begleitet von einer
umfangreichen Dokumentation über das Soester Kunstgeschehen von 1918 bis 1934 das in diesem
Buch erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet wird. Und erstmals dokumentiert wird auch ein
bisher vernachlässigter Aspekt der Aufarbeitung des Morgner-Nachlasses sowie die zunächst
kontroverse Beurteilung seines OEuvres durch die Kunstkritik.