Das Recht begleitet den Menschen von der Wiege bis zur Bahre. Auch wenn und soweit es sich vor
allem sprachlich objektiviert d.h. in Gesetzestexten Verwaltungsentscheidungen richterlichen
Urteilen Vertragstexten u.a.m. ist nach Auffassung von Brusiin jede »Handhabung von
Rechtssituationen« etwas was in seiner konkreten Ausgestaltung von der »persönlichen
Rechtserfahrung« des Einzelnen abhängt und dessen Interpretation von Recht bestimmt und prägt.
Vom empirischen Standpunkt aus betrachtet basieren somit nicht nur die einzelne Rechtsnorm
sei sie individuell-konkret oder generell-abstrakt sondern auch die Rechtsordnung insgesamt
und darüber hinaus das Rechtssystem einer regionalen Gesellschaft als Ganzes auf den
»Erfahrungen der Menschengemeinschaft«.Dies macht es möglich alles Recht und alle menschlichen
Rechtsgemeinschaften in der (Selbst-)Reflexion auf die Prämissen menschlichen Erlebens und
Handelns (und das heißt auch auf das Verhältnis von Normen und Handeln) als einen Gegenstand
menschlicher Erfahrung alle Wissenschaft vom Recht als eine soziale Erfahrungswissenschaft zu
begreifen. Von diesen kulturellen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen ausgehend
hat der finnische Rechtstheoretiker und Philosoph Otto Brusiin (1906-1973) seit der Mitte des
20. Jahrhunderts das in Kürze zu Ende geht das gesamte Rechtsdenken - darin vergleichbar mit
Rudolf von Ihering und Max Weber (um von Marx hier zu schweigen!) - durch seinen neuen Zugang
zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung revolutioniert. Er wurde damit wie die im
selben Verlag in deutscher Sprache veröffentlichten »Ausgewählten rechtstheoretischen
Schriften« von Brusiin (»Der Mensch und sein Recht. Ausgewählte rechtstheoretische Schriften«.
Hrsg. und eingeleitet von Urpo Kangas. 1990. ISBN 978-3-428-06911-8) belegen zu einem der
maßgebenden Begründer der modernen Rechtstheorie und Rechtsphilosophie der schon in den 60er
und 70er Jahren auch internationale Beachtung und Reputation erlangte. Seine Theorie und sein
Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung haben in den letzten Jahrzehnten die
rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung beschäftigt und geprägt.Das vorliegende
Brusiin-Sonderheft dokumentiert die von der Otto Brusiin-Stiftung ins Leben gerufenen in den
Jahren 1982-1997 in Helsinki und Tampere von einem Kreise internationaler Gelehrter aus den USA
Großbritannien Lateinamerika und Deutschland gehaltenen »Otto Brusiin Lectures«. In ihnen
spiegelt sich zugleich die zeitgenössische Entwicklung der Rechtstheorie und Rechtsphilosophie
auch in ihren Auswirkungen auf die Rechtspraxis die praktische (dogmatische)
Rechtswissenschaft und ihre juristische Methodenlehre.