Die herausragenden verfassungstheoretischen Positionen der Weimarer Staatsrechtslehre sind in
der Staatsrechtslehre unter dem Grundgesetz immer noch präsent. Von besonderer Bedeutung sind
die einschlägigen Theorien von Hans Kelsen Carl Schmitt Rudolf Smend und Hermann Heller. Der
Umstand dass vor allem diese Autoren bis heute eine beträchtliche Nachwirkung entfalten wirft
die Frage auf ob ihre verfassungstheoretischen Entwürfe - insgesamt oder partiell - als
taugliches Deutungsmuster für ein fundiertes Verständnis des Grundgesetzes dienen können. Der
Versuch einer Antwort erfolgt hier auf der Grundlage eines verfassungstheoretischen Vergleichs.
In einer kurzen Einleitung werden die fortbestehende Relevanz von Verfassungstheorie im
Zeitalter der Globalisierung und die entsprechenden Bezüge zwischen der Weimarer und der
aktuellen Staatsrechtslehre erläutert. Im ersten Hauptteil entwirft Peter Unruh sodann einen
Abriss der Verfassungstheorie des Grundgesetzes in Gestalt des einschlägigen
Verfassungsbegriffs. Den Ausgangspunkt bildet die Autonomie als verfassungstheoretischer
Basiswert verstanden als Freiheit und Gleichheit des Individuums und verfassungsrechtlich
verankert in Art. 1 Abs. 1 GG. Auf diesem Fundament erheben sich zwei tragende Säulen die aus
jeweils acht Teilbausteinen mit spezifischem Inhalt bestehen. So umfassen die Strukturelemente
des Verfassungsbegriffs die Volkssouveränität die Herrschaftskonstitution den Vorrang und die
Normativität der Verfassung den Rahmencharakter den umfassenden Charakter und die
Universalität der Verfassung sowie die Kodifikation und die Verfassungsänderung. Die materialen
Elemente hingegen setzen sich aus der repräsentativen Demokratie der (horizontalen)
Gewaltenteilung der Herrschaft des Rechts der Verfassungsgerichtsbarkeit den Grundrechten
der vertikalen Gewaltenteilung der Republik und der Sozialstaatlichkeit zusammen. Die so
präzisierte Verfassungstheorie des Grundgesetzes liefert die Kontrastfolie für den Vergleich
mit den verfassungstheoretischen Ansätzen von Hans Kelsen Carl Schmitt Rudolf Smend und
Hermann Heller. Dieser Vergleich führt zu dem Ergebnis dass keiner der analysierten Entwürfe
zu einer vollständigen Rekonstruktion der Verfassungstheorie des Grundgesetzes taugt.
Allerdings divergieren die Abweichungen bei den einzelnen Autoren im Hinblick auf die einzelnen
Verfassungsbegriffselemente und auch das Ausmaß der Abweichung ist unterschiedlich. Insgesamt
liegt der wissenschaftliche Ertrag der Studie in einer Selbstvergewisserung darüber was wir
eigentlich tun wenn wir uns auch heute noch auf diese Klassiker der Verfassungstheorie
berufen.