Dieses Buch vereint zwanzig Gedichte die Marcel Reich-Ranicki der seit 1974 die Frankfurter
Anthologie herausgibt schätzt und bewundert und nicht selten auch liebt. Jedenfalls sind ihm
ausnahmslos alle diese Gedichte im Laufe seiner lebenslangen Beschäftigung mit der deutschen
Literatur besonders aufgefallen ja er kann sie nicht vergessen. Sie stammen aus allen Epochen
unserer Lyrik. So beginnt denn die Auswahl mit Walther von der Vogelweide der vor rund
achthundert Jahren gelebt hat und reicht bis zu Autoren unserer Zeit wie Erich Fried und
Günter Kunert. Bemüht den Reichtum und die Skala der deutschen Dichtung zu zeigen und
bewußtzumachen hat sich Reich-Ranicki nicht gescheut Gedichte von sehr unterschiedlicher Art
Bedeutung und auch Qualität nebeneinanderzustellen. Neben solchen die mit Sicherheit zu den
schönsten in unserer Sprache gehören (wie Goethes Freudvoll und leidvoll oder Heines Ein
Jüngling liebt ein Mädchen wie Brechts Erinnerung an die Marie A.) finden sich hier auch
Gedichte die man zur Gebrauchslyrik zählen muß - wie jene von Kurt Tucholsky und Mascha
Kaléko. Zu Hölderlins Ode An die Parzen einem der Wunder in deutscher Sprache gesellt sich
ein nur einem Randbezirk der Literatur zuzurechnender kabarettistischer Text des Schauspielers
Gustaf Gründgens zu Versen des unterschätzten Barockdichters Paul Fleming Verse des beinahe
schon vergessenen Expressionisten Paul Boldt. Das neunzehnte Jahrhundert repräsentieren hier
Heine und Hebbel Storm und Fontane und - ganz überraschend - Richard Wagner als Autor eines
Sonetts.In seinem »Plädoyer für die Lyrik« schreibt Marcel Reich-Ranicki: »Der Lyriker verbirgt
sich nicht im Gedicht er muß sich in ihm stellen.« Daher sei das Gedicht die »schamloseste
aller literarischen Formen« und »wer sich entblößt der provoziert seine Umwelt«. In diesem
Sinne werden die zwanzig ausgewählten Gedichte von Marcel Reich-Ranicki kommentiert unbefangen
und vorurteilsfrei. Sie werden allesamt vom Interpreten neu gesehen.