War Kleist ein philosophischer Dichter? Oder waren seine frühen Ausflüge in die philosophische
Essayistik -wie oftmals behauptet - nichts weiter als schülerhafte Exerzitien im Stile der
Popularphilosophie seiner Zeit? Entgegen der Schulmeinung zeigt diese Studie: Kleists Wende zur
Kunst markiert weder den Abbruch philosophischer Reflexion noch wandelt er sich mit seiner
Lebenskrise von 1801 - jener berühmten Kant-Krise - zu einem anti-aufklärerischen Fürsprecher
des Gefühls das sich gegen alle zivilisatorische Zwänge spontan und unreflektiert ins Werk
setzt. Kernthese ist dagegen dass Kleist sowohl in seinen Aufsätzen und Briefen als auch in
seinen literarischen Werken das Problem der Vermittlung zwischen moralischem Anspruch und
menschlichem Vermögen verhandelt. Seine Dichtungen reflektieren die Frage inwiefern sich die
anthropologischen Bedingungen der Motivation - der Gefühls- und Affekthaushalt - mit den
Forderungen nach Integration in die moralischen und rechtlichen Ordnungssysteme in ein
harmonisches Verhältnis setzen lassen. Auch Kleists explizite wie implizite Auseinandersetzung
mit Immanuel Kant kreist weniger um die Frage nach der Erkennbarkeit der Wirklichkeit als um
das Problem wie das normativ Gebotene praktisch wirksam werden kann. Kleists literarisches
Schaffen wird damit erstmals im Rahmen einer umfassenden Analyse in den moralphilosophischen
Problemzusammenhang der Aufklärung gerückt.