Der ungarische Schriftsteller István Örkény (1912-1979) hat eine literarische Form erfunden:
die Mininovelle deren Lektüre nicht mehr als eine Minute beansprucht und deren Titel
unmißverständlich sein muß wie die Nummer einer Straßenbahn. Er schrieb sie »während der
wenigen freien Stunden die er der Geschichte abtrotzen konnte« - einer Geschichte die ihm vor
allem Verfolgung Krieg Gefangenschaft und den unberechenbaren Alltag in einer repressiven
Gesellschaft zugedacht hatte. In diesen »Märchen aus dem 20. Jahrhundert« (György Konrád) lesen
wir von einem kleinen Mädchen in Rußland das fasziniert die neue Leica-Kamera betrachtet mit
der die Hinrichtung seiner Mutter aufgenommen wird von einer Tulpe die sich vom Fensterbrett
stürzt weil sie keine Tulpe mehr sein will oder von der Pförtnerin eines Unternehmens die
vierzehn Jahre lang die selbe Auskunft gibt bis sie eines Tages einen unerhörten Satz spricht
und für Sekunden ein Loch in die Welt schlägt.Die Minutennovellen deren Humor und
Rätselhaftigkeit an Kafka erinnern gehören längst zu den Klassikern der osteuropäischen
Moderne. In wenigen Zeilen die Essenz eines Lebens in einem simplen Dialog die Absurdität
einer Epoche festzuhalten - das ist die hohe Kunst dieses Autors der seine Texte gern mit
Brühwürfeln verglich aus denen der Leser sich eine Suppe kochen soll.