Als eine kleine aber entschiedene »Drehung des Kopfes« hat Durs Grünbein selbst das
beschrieben was sein Werk seit Mitte der neunziger Jahre bewegt verbunden mit einer
Verschiebung der Achsen und Maßstäbe. Diese Drehung des Kopfes hat den Blick nicht nur für die
Weimarer Klassik sondern ebenso für den fundamentalen Bereich der Antike geöffnet - doch nicht
nur für diese. Eindringliche Porträts aufgenommen aus verblüffenden Perspektiven stehen im
Zentrum dieser Aufsätze: Heiner Müller Nietzsche Goethe Shakespeare aber eben auch die
geheimnisvolle Büste eines Miles romanus. Auf dieser physiognomischen Linie durchquert der
Autor die Zeiten: in Essays Reportagen und Recherchen Erzählungen Miniaturen und
Charakterbildern. Ob er sich dem ikonischen Paradox einer »protestantischen Reliquie« in
Marxwalde zuwendet oder dem zwischen Archaik und Modernitätssignalen flirrenden 'Event' einer
Schönheitskonkurrenz in Caracas ob er in einem phänomenologischen Parforceritt den Kult der
Totenmaske entlarvt als Zeugnis der Indifferenz und der Menschenleere oder ob er mit seinen
Antikeporträts zu Seneca und Juvenal Schaustücke bietet in der künstlerischen Rekonstruktion
einer Epoche - alle diese Aufsätze setzen auf die irreduzible Physiognomik des Einzelfalls
konzentrieren sich auf das je besondere Denkbild: »Auf einer Marmorbüste herumzuhacken ist
keine Kunst« hat Grünbein einmal geschrieben »weitaus schwieriger ist es der Maserung ihrer
Oberflächen zu folgen die so vieles bedeuten kann.«