(Vorwort von Anton Zeilinger): Am Morgen des 24. Februar 2022 war die Welt geschockt. Der
russische Präsident Vladimir Putin hatte tatsächlich einen Krieg gegen die Ukraine befohlen
den er als Spezialoperation gegen angeblich neonazistische Kräfte in der Ukraine zu tarnen
versuchte. Obwohl der Aufmarsch der russischen Armee an der Nord- Ost- und Südgrenze der
Ukraine bereits über den Winter im Gange war und obwohl Putin mehrmals sein imperialistisches
Ziel der Ausdehnung des russischen Einflusses bis an die deutsch-polnische Oder-Neiße-Grenze
öffentlich kundgetan hatte wollten es vor allem die West- und Mitteleuropäer innen nicht
glauben dass ein militärischer Überfall Russlands auf ein ostslawisches Brudervolk möglich
wäre.Viele politische militärische ökonomische und ideologische Analytiker innen fragten sich
was die Motive des russischen Präsidenten und seines Umfelds für ein derart beispielloses
militärisches Vorgehen 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sein könnten: ein
Wiederbeleben des russischen und sowjetischen Imperialismus? Angst vor einer weiteren
Demokratisierung der Ukraine und vor ihrer fortgesetzten Annäherung an den Westen? Die Sorge
vor einem zunehmenden wirtschaftlichen Rückfall Russlands und vor steigender Unruhe in der
russischen Bevölkerung? Angst vor einem weiteren Vorrücken der NATO Richtung Osten? Das
Ausnützen einer vermeintlichen Schwächeperiode in führenden westlichen Staaten? Ich freue mich
dass das Präsidium der ÖAW den besten Fachmann unter den deutschsprachigen
Osteuropa-Historikerinnen und -Historikern gewinnen konnte die geschichtlichen Hintergründe
des aktuellen Konfliktes zu beleuchten. Der emeritierte ordentliche Universitätsprofessor Dr.
Andreas Kappeler ist gebürtiger Schweizer lehrte als Ordinarius an den Universitäten zu Köln
und Wien und ist seit 1999 Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der
vorliegende Text beruht auf dem Festvortrag von Professor Kappeler in der Feierlichen Sitzung
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 13. Mai 2022 anlässlich ihres 175-jährigen
Bestehens.