Frühjahr 2022. Ob Berlin Hamburg Köln oder München: Auf den Hauptbahnhöfen der deutschen
Metropolen kommen täglich tausende Flüchtlinge an zumeist Mütter mit Kindern aus der Ukraine
aus Angst um ihr Leben. Die Bilder verstörter Menschen auf der Flucht wecken schmerzhafte
Erinnerungen an die Zeit als 14 Millionen Deutsche ihre Heimat verloren wobei Hunderttausende
umkamen. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs begann die
große Fluchtwelle aus dem deutschen Osten ausgelöst durch das Vorrücken der Roten Armee gegen
Nazi-Deutschland. Das Trauma von Krieg Schuld und Leid kommt mit Wucht zurück. Putins
Angriffskrieg gegen die Ukrainer löst eine Zeitenwende aus. Die deutsche Politik stellt den
Umgang mit der Vergangenheit auf den Prüfstand. Und kommt dabei zu einer unvorstellbaren
Kehrtwende. War es ein Dreivierteljahrhundert das Mantra Deutschland müsse sich wegen dieser
Vergangenheit militärisch möglichst zurückhalten so wird das Argument über Nacht auf den Kopf
gestellt. Plötzlich ist es genau diese schuldhafte Vergangenheit die es notwendig macht
militärisch mit einem 100-Milliarden-Euro-Sonderprogramm aufzurüsten und sich der Bedrohung der
Freiheit entgegenzustellen. Alte Tabus fallen reihenweise auch die Lieferung von Waffen an die
bedrohte Ukraine gehört dazu. Die Autoren stellen Fragen: Darf Putins Krieg ein Anlass sein
die deutsche Verantwortung für die Gräuel der Nazi-Zeit zu relativieren gar einen
Schlussstrich zu ziehen wie es im Nachkriegsdeutschland immer wieder versucht wurde? Was
bedeutet diese Zeitenwende für die deutsche Erinnerungskultur? Bisher galt: Die Deutschen sind
das Tätervolk das Europa in einen brutalen Krieg ohne Beispiel gestürzt und die Ausrottung der
Juden zum Ziel hatte. Aber dürfen diese Deutschen auch Opfer sein wie es jetzt die Ukrainer
sind? Und ist ihnen millionenfach bei Flucht und Vertreibung ebenfalls Unrecht widerfahren?
Darf man auch an ihr Leid erinnern? Und wurde mit stark überhöhten Opferzahlen auch Politik
gemacht? Muss dieses hoch sensible Kapitel jetzt neu geschrieben werden? Viele Fragen und
dieses Buch gibt Antworten. Es beschreibt den langen Kampf der Parteien um die Köpfe der
Vertriebenen. Nach dem Holocaust hat kein Thema eine so überragende Bedeutung entwickelt für
das geschichtliche Selbstverständnis der Republik für die Bereitschaft sich Schuld und
Verantwortung für die Kriegsgräuel zu stellen wie die Vertreibung eines enorm großen Anteils
seiner Bevölkerung dem Tod Hunderttausender dem Verlust ihrer Heimat und der erzwungenen
Aufgabe eines Fünftels seines ursprünglichen Staatsgebietes. Ein neues Dokumentationszentrum
erinnert daran. Das Buch zeigt auch: die Politik will keinen Abschluss sie will neue
Gedenkorte mit einer Sonderrolle für Polen aber auch für alle Länder Europas die von
Nazi-Deutschland besetzt waren. Der Ukraine-Krieg verschärft das noch. Auch das birgt Stoff für
Debatten. Verzettelt sich die Bundesrepublik in einer Denkmalsinflation'' für die
Opfernationen des Zweiten Weltkriegs? Aber die Autoren schauen auch nach vorn: Die neue
Flüchtlingswelle vereint Europa. Birgt diese neue Nähe zu den osteuropäischen Nachbarn auch die
Chance die bis heute andauernden historischen Belastungen vor allem zu Polen Tschechien und
der Ukraine hinter sich zu lassen?