Der Begriff der Evolution wird in der deutschen Sprache in der Regel in seiner
naturgeschichtlich-biologischen Bedeutung gebraucht und bezeichnet dort die Entwicklung der
irdischen Natur von den Gesteinen über die Pflanzen zu Tier und Mensch. Joseph Beuys
(1921-1986) benutzte diesen Begriff bei der Entwicklung seiner plastischen Theorie in mehreren
Dimensionen. Neben die naturgeschichtliche treten die kosmische Geschichte die
geisteswissenschaftliche Geschichte und die Sozialgeschichte der Menschheit.Ausgangspunkt für
Volker Harlans Untersuchung ist eine Zeichnung die Beuys für ihn angefertigt hat und in der er
das Ergebnis längerer Diskussionen illustrierend festhält. Die Zeichnung ist auf den 1. Juli
1974 datiert und hat das Format 29 7 x 42 cm. Sie enthält Chiffren und insgesamt 41 Begriffe.
Volker Harlan beginnt seine Untersuchung mit einer praktischen Lesehilfe um dann Schritt für
Schritt und philologisch umfassend aus den vielen Äußerungen des Künstlers und weiteren
Diagrammen das Weltbild und die Theorie die Beuys als Bildhauer entwickelt hat
herauszuschälen und zu erläutern: von der dreigliedrigen Gestalt der Pflanze über die drei
Phasen der Plastischen Theorie bis zur Dreigliederung des sozialen Organismus. Von seinen
frühesten Zeichnungen bis zu den bei späteren Vorträgen entstandenen Kreidezeichnungen auf
Schultafeln hat Beuys bis zum letzten Atemzug sein gedankliches Konzept vorgetragen vertreten
und propagiert. Es war einzigartig unter den Künstlertheorien der Gegenwart und erlaubte ihm
in alle Felder von Kunst und Gesellschaft vorzudringen Gehör zu finden und zudem bleibende
Werke zu schaffen. Als der künstlerischen Tätigkeit ebenbürtigen Parallelprozess bezeichnete er
die Arbeit an der Ausbildung und Verbreitung seiner Begriffe. Historisch steht er damit in der
Tradition von Goethes Versuch Naturwissenschaft und Dichtung Biologie und Geisteswissenschaft
zu verbinden. Darin folgte er u. a. auch den Spuren von Hermann von Helmholtz Rudolf Steiner
und Konrad Lorenz.In ansprechender eigener Sprache führt Volker Harlan unterstützt von dem
Philosophen Wolfgang Zumdick den Leser durch das Labyrinth der Beuys'schen Vorstellungen zu
den Begriffen die den Künstler berühmt gemacht haben: den erweiterten Kunstbegriff die
soziale Plastik und die fordernde Erkenntnis dass jeder Mensch ein Künstler sei.Volker Harlan
geb. 1938 in Dresden studierte Theologie und Biologie. Seit 1965 Pfarrer der
Christengemeinschaft in Bochum lehrte er parallel an verschiedenen Hochschulen. Einen Namen
machte er sich mit den beiden Büchern Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Beuys (1986) und Das
Bild der Pflanze in Wissenschaft und Kunst: bei Aristoteles und Goethe in der botanischen
Morphologie des 19.u 20. Jahrhunderts und bei den Künstlern Paul Klee und Joseph Beuys
(2003).Wolfgang Zumdick geb. 1957 studierte Germanistik und Philosophie. Er hat mehrere
Beuys-Ausstellungen kuratiert und zahlreiche Bücher zu Beuys publiziert u. a. Joseph Beuys und
die Architektur (2013) und Der Tod hält mich wach. Joseph Beuys - Rudolf Steiner Grundzüge
ihres Denkens (2006).