Die Mehrdeutigkeit sprachlicher Erscheinungen wie einzelner Wörter aber auch umfangreicher
Äußerungen und sogar ganzer Texte ist keine seltene Ausnahmeerscheinung. Nahezu jedes Wort ist
polysem kann in unterschiedlichen Lesarten verwendet werden: Die Mutter geht in die Küche. -
Der Hefeteig geht. - Die Uhr geht falsch. - Es geht auf den Winter zu. Manche Sätze lassen sich
wegen einer unklaren grammatischen Struktur so oder so verstehen: Er las den Brief seiner Frau
vor. Redewendungen wie jemandem auf den Leim gehen und Kurztexte wie Sprichwörter haben
zumindest neben einer wörtlichen auch eine übertragene Bedeutung: Der Krug geht so lange zu
Wasser bis er bricht. Zur Interpretation literarischer Texte gehört generell das Aufdecken
ihrer Mehrdeutigkeit da das für das Verständnis Entscheidende oft nicht direkt ablesbar ist
sondern zwischen den Zeilen steht. Wie geht man nun mit solchen Mehrdeutigkeiten (Ambiguitäten)
um? Ambiguitätstoleranz (auch: Ungewissheitstoleranz) gilt als ein wichtiges kognitives und
emotionales Persönlichkeitsmerkmal das vor simplifizierendem Schwarz-Weiß-Denken schützt und
dabei hilft die Aufnahme Verarbeitung und Speicherung von unklaren ambigen Informationen in
widersprüchlichen Situationen zu bewältigen. Ambiguitätskompetenz geht darüber hinaus. Sie ist
die Fähigkeit als Hörer oder Leser aber auch als Sprecher oder Schreiber angemessen mit
Mehrdeutigkeiten umzugehen d. h. sie in fremden Äußerungen zu erkennen und das richtige
Verstehen zu sichern bzw. sie bei den eigenen Äußerungen zu vermeiden oder aufzuklären. So
können Nichtverstehen und Missverstehen vermieden werden. Deshalb ist die Förderung der
Ambiguitätskompetenz eine zentrale Aufgabe des Deutschunterrichts.