Was verbirgt sich hinter dem tschechischen Konzept der nichtpolitischen Politik (nepolitická
politika) das in Deutschland wohl aufgrund der provokant-widersprüchlichen Formulierung
bislang zu Unrecht nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat? Politik umfasst zwar auch sollte es
aber idealerweise nicht was gemeinhin in ihrem Namen getrieben wird: Ewiger Streit faule
Kompromisse Parteiengezänk unverbindliche Phrasendrescherei bis hin zu glatten Lügen. In
Tschechien zählt die Idee der nichtpolitischen Politik zum Archiv und Laboratorium der
politischen Ideen und wurde bislang überwiegend mit Václav Havel in Verbindung gebracht. Dirk
Mathias Dalberg zeigt in seiner Studie auf dass die Idee einer nichtpolitischen Politik älter
ist als der tschechische Dissens der Siebziger- und Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Ihre
Ursprünge reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Als normative
Politikvorstellung vor allem aber als alternative Strategie zur Erreichung längerfristiger
politischer Ziele wie der Erringung und Bewahrung eines eigenen Staates und der Bewahrung der
Nation erlebte die Idee der nichtpolitischen Politik in den Jahren von 1890 bis 1940 im
tschechischen Kontext der böhmischen Länder ihre Blütezeit. Die von der Formulierung in Art
eines (rhetorischen) Oxymorons und einer (logischen) contradictio in adiecto ausgelösten
Assoziationen und damit verbundenen Vorstellungen hatten in dieser Zeit eine besondere
politische Relevanz und Sprengkraft. Dalbergs Untersuchung widmet sich den ideengeschichtlichen
Ursprüngen und Kontexten den Inhalten Bedeutungen und Funktionen der nichtpolitischen Politik
und bietet einen umfassenden Überblick über diese Idee die auch mit Blick auf
Politikverdrossenheit in den westlichen Demokratien und die von der Bevölkerung angenommene
oder gar faktische politische Unfähigkeit mancher Politiker ihrem Wesen nach aktueller ist als
man vermuten würde.