Giorgio Agambens Buch Was ich sah hörte lernte¿... 2022 erstmals unter dem Titel Quel che ho
visto udito appreso ... erschienen ähnelt keinem seiner bisherigen Bücher. Der schmale Band
nimmt sowohl in formaler wie auch in inhaltlicher Hinsicht eine Sonderstellung innerhalb des
Werkes eines der bedeutendsten Denker der Gegenwart ein der im deutschsprachigen Raum
besonders durch seine mehrbändige Homo sacer-Studie (1995-2015) zur biopolitischen Moderne
bekannt geworden ist.In hoch verdichteten Prosaminiaturen von zwei bis zwanzig Zeilen reiht
Agamben dem verborgenen Kompositionsprinzip einer Wunderkammer vergleichbar prägende
Begegnungen mit Weggefährten und Orten Lektüreerfahrungen Natur- und Selbstbeobachtungen als
Ausgangspunkte philosophischer Reflexion aneinander. Stets sind in diese auch andernorts
formulierte Gedanken und Begriffe in kaschierter Form wie ein fernes Echo das in den
Denkbildern nachzittert eingewoben wodurch ein vielschichtiges Beziehungsnetz zu Agambens
umfangreichem Werk entsteht. Dem Sammlungscharakter des Buches dem - auch im Wortsinne -
Auf-lesen des Verstreuten entspricht die Vielheit seiner zwischen Aphorismus Essay und
Prosagedicht changierenden Textformen. Sie durchdringt sämtlich ein Geist der Sammlung
Betrachtung und Versenkung. Sein einender Gegenstand ist ob nun vordergründig Kafkas
Erlösungsbegriff das Farbenspiel auf der Insel Ponza das Evangelium als Lebensform ein
Studienseminar mit Heidegger in Le Thor oder die neapolitanische Volkstheaterfigur Pulcinella
beschrieben werden das Denken in der Sprache. Denn in diesem Prisma philosophischer
Reflexionen poetischer Bilder und persönlicher Erfahrungen wird in immer neuen Brechungen
eine sprachphilosophische Aporie ausgeleuchtet die Agambens Werk wie ein feiner Faden
durchzieht: die Grenzen des sprachlich Fassbaren ihre ins Vorsprachliche oder Unsagbare
ausfransenden weißen Ränder und ihre Kreuzungen mit Leben Körper und Geschichte mit den
Mitteln der Sprache selbst auszuloten. An anderer Stelle hat er diese Aufgabe mit Walter
Benjamin als »Idee der Prosa« charakterisiert. Ihre Mobilisierung auch der ästhetischen
sinnlichen Funktion der Sprache steht weder im Dienst einer normativen Philosophie und Ethik
noch bloß >schöner