In den Sommerferien in denen wir wie viele andere ins Ausland emigrierte Familien in unser
Dorf zurückkehrten waren der erste Geschmack der Heimat die Arancini die es auf der Fähre vom
italienischen Festland nach Sizilien zu essen gab. Von weitem sichtbar am anderen Ufer
begrüsste uns die goldglänzende Madonnina die Schutzpatronin von Messina. Erst viel später
begann ich mich für den Küstenstrich um Messina zu interessieren der seit der Antike
geografisch und geopolitisch grosse Bedeutung hatte. Die Distanz zum italienischen Festland ist
hier so gering dass die Idee einer Brücke zwischen den Ufern Kalabriens und Siziliens die
Köpfe der Bewohner seit Generationen obsessiv besetzt. Fasziniert von dieser Brücke die auf
keiner Landkarte verzeichnet ist begann ich das Küstengebiet 2006 fotografisch zu
dokumentieren. Bereits von Mussolini in den Kriegsjahren angekündigt weckte das höchst
umstrittene Brückenprojekt das Interesse Berlusconis der es in seiner Amtszeit als Premier zu
konkretisieren begann. Wiederholt wurde dieses gigantomanische Prestigeprojekt diskutiert
geplant und schliesslich wieder verworfen. Es wäre die bisher längste und höchste Hängebrücke
der Welt - erbaut auf erdbebengefährdetem sandigem Grund. Für die einen ein Sinnbild des
wirtschaftlichen Aufschwungs Siziliens schwebt die Brücke für die anderen wie ein
Damoklesschwert über der Region und Italien. Entstanden ist bei meinem Langzeitprojekt ein
Porträt einer Region im Stillstand im Zustand des gleichgültigen frustrierten oder auch
hoffnungsvollen Wartens. Es dokumentiert die Veränderung der (sub)urbanen Küstenabschnitte die
zögerlichen Versuche einer Aufwertung und zeigt Menschen in ihrem Alltag wie die Fischer
deren Verdienst aus der Schwertfischjagd schon lange nicht mehr zum Leben reicht. No ponte ist
ein Essay darüber wie die Absenz von etwas uns so stark beeinflusst wie dessen Präsenz es tun
würde. Ein Bild der Brücke wird in dieser Serie nie zu sehen sein. Die letzte Fotografie werde
ich schiessen wenn der Grundstein gelegt ist. - Giuseppe Micciché