Warum schreibt man ein solches Buch? Wer sich jemals privat oder beruflich mit einer bestimmten
Materie befasst hat wer einen bestimmten Ort oder ein Gebiet durch eigenes Erleben besonders
gut kennt oder Zeuge eines bestimmten Ereignisses war kennt das häufig einsetzende Gefühl der
Befremdung oder Verwunderung wenn man dann auf Berichte oder Urteile stößt in denen das so
vertraut Geglaubte kaum mehr zu erkennen ist. Mit anderen Worten: Wir haben es oft mit
oberflächlichen meist leichtfertig und unkritisch wiedergegebenen Halbwahrheiten zu tun die
gewöhnlich am Kern der Sache vorbeigehen. Manchmal bekommt man den Eindruck Information und
Berichterstattung wären vom Prinzip geleitet: wenig Ahnung keine Tiefe aber dafür um so mehr
Meinung. Mit Russland dem Gegenstand unseres Buches verhält es sich nicht anders. Es genügt
in Gesprächen unter Bekannten in den Medien oder vielen - nicht allen - einschlägigen Büchern
genau hinzuhören beziehungsweise zu lesen um eine Sammlung liebgewordener landläufig gängiger
und hartnäckig beibehaltener Stereotype und Vorstellungen zusammenzutragen. Der Grund dafür ist
in den meisten Fällen mangelndes Wissen wobei natürlich auch gezielte Desinformation nicht
völlig auszuschließen ist eine Methode die nicht nur mit Blick auf Russland gilt sondern
auch in Bezug auf andere Länder in der Geschichte wiederholt angewendet wurde. Für die Mehrheit
derjenigen die nie in Russland waren existieren bestimmte Klischees und Stereotype die von
den westlichen Medien vor allem dem Fernsehen geschaffen werden. Vor einigen Jahren brachte
das österreichische Radio (ORF) eine Serie von Sendungen über das Leben von Vertretern
verschiedener Kulturen und Nationalitäten in Wien. Was nun interessierte die Österreicher in
Bezug auf die Russen? Unter anderem interessierte sie: Wieviel Wodka trinken die Russen pro
Tag? Wie verwenden sie im alltäglichen Leben den Samowar? Und wieviel Matrjoschkas haben sie
Zuhause. Es stellte sich heraus dass die Russen deutlich weniger Wodka trinken als die
Österreicher Bier dass ein elektrischer Teekocher einfacher und handlicher als ein Samowar ist
und dass die Russen Matrjoschkas ausschließlich als Geschenke für ihre österreichischen Freunde
kaufen. So gab es also keine besondere Exotik in den russischen Häusern in Österreich.
Diejenigen die sich zumindest einmal in Russland aufgehalten haben bringen völlig andere
Eindrücke mit als die welche über die Medien vermittelt werden. Hier die Ansicht einer meiner
Studentinnen die in Moskau war. In den drei Wochen meines Aufenthaltes in Moskau habe ich mich
in die Stadt verliebt - sie ist eine der schönsten Städte der Welt. Die Russen riefen in mir
zwiespältige Gefühle hervor. Da waren sowohl solche die den Anschein erweckten dass sie mich
nur deswegen nicht verstehen weil ich die Wörter falsch ausgesprochen habe als auch solche
die deutlich freundlicher als die Österreicher waren: So etwa die Verkäuferin auf einem Markt
die mir zu den gekauften Pfirsichen noch kostenlos andere Früchte gab die Verkäuferin in einem
Tabakkiosk die mich nachdem sie bemerkt hatte dass ich Ausländerin bin über alles
auszufragen begann ... Wie stimmt das alles nicht mit dem überein was unsere Zeitungen über
Russland schreiben! Einmal hat mir ein österreichischer Russist in einem meiner
Methodikseminare die ich jährlich für Russischlehrer in Österreich abhalte die
Schlüsselwörter genannt die der Darstellung Russlands in den österreichischen Medien dienen:
Mafia Korruption Wodka Verbrechen Unsicherheit. Die meisten von ihnen sind übrigens auf
sprachlicher Ebene international und sogar Anfängern verständlich. In einer österreichischen
Zeitung wurde zum Beispiel eine Fotografie veröffentlicht die einen Polizisten mit
Maschinenpistole zeigte. Die Bildunterschrift lautete: Alltag in Moskau. Als ich in der
Redaktion anrief erfuhr ich d